Das Ungeheuer von Florenz
Fehlschlägen hatte er wohl die Hoffnung aufgegeben.
Der Fahrer des Maresciallo ließ den Motor an, als er die beiden Männer kommen sah.
»Nein, wir fahren noch nicht, in einer halben Stunde vielleicht.«
»Hier entlang.«
Sie verließen das Dorf auf einer abschüssigen Asphaltstraße, die nach ungefähr fünfzig Metern in eine unbefestigte Landstraße überging, neben der ein Bach dahinplätscherte. Nach wenigen Minuten sahen sie zu ihrer Rechten unterhalb des Weges ein Marmorkreuz, das die Stelle bezeichnete, an der das Verbrechen verübt worden war. Hier hatte der Maresciallo vor nicht allzu langer Zeit im strömenden Regen gestanden und zu den düsteren, von Banditen unsicher gemachten Bergen hinaufgeschaut, denen sie nun den Rücken zukehrten.
Der Maresciallo sah die Mutter nicht gleich, denn sie stand sehr still in der Düsternis. Dann wurde ihm klar, daß sie hinter dem Kreuz stand und den Kopf gesenkt hielt, vielleicht sogar die Stirn auf das Kreuz gelegt hatte.
»Es ist vielleicht besser, wenn Sie allein hinübergehen«, sagte der Ehemann. »Wenn ich mitkomme, wird sie bei jeder Frage, die Sie stellen, nur mich ansehen, damit ich antworte. Schauen Sie einfach zu mir rüber, wenn Sie fertig sind, dann komme ich meine Frau holen.«
Der Maresciallo stieg den Abhang zwischen den toten Weinstöcken hinunter. Die Frau hatte wohl gemeint, ihr Mann komme, denn sie fragte, ohne hochzusehen: »Ist es Zeit?«
»Signora?«
Sie hob langsam den Kopf und schaute ihn an. »Oh.«
Das war die einzige Bemerkung, mit der sie seine Anwesenheit wahrnahm, und seine Uniform schien ihr zu sagen, daß hier wieder einmal jemand war, der ihr eine Menge Fragen stellen würde, auf die es keine Antwort gab. Ihr Blick wanderte über ihn hinaus in die Ferne.
»Ihr Mann wird gleich hiersein. Es tut mir leid, Sie zu stören, aber…«
»Wissen Sie, warum ich hier bin?«
»Ich… Ihr Mann sagte mir, daß Sie Blumen herbringen.«
»Ach. Das erzählt er den Leuten?«
Es waren keine Blumen da. »Er macht sich Sorgen. Aber wir müssen zurechtkommen, so gut es geht. Ich muß hierherkommen. Er versteht das nicht. Er meint, ich sollte lieber auf den Friedhof gehen. Blumen!«
Sie zog ihren Wollmantel über der Brust zusammen. »Es ist kalt… Mein Mann, wissen Sie, er war in jener Nacht hier. Er hätte etwas tun können. Mich haben sie nicht zu ihr gelassen. Er hat mich bis dahin gebracht, wo er jetzt steht, und da haben sie mich nicht weitergehen lassen, sie haben mich festgehalten. Warum haben sie das getan? Warum? Warum hat niemand Verständnis gehabt und sie mir wiedergegeben, mein kleines Mädchen? Stundenlang haben sie sie auf der Erde liegengelassen, haben fotografiert, gemessen, aber nicht mal hinterher durfte ich zu ihr.«
Plötzlich kam sie, als seien ihr neue Kräfte zugewachsen, auf den Maresciallo zu und packte ihn am Arm. »Einem anderen Menschen so etwas anzutun dürfte niemandem erlaubt sein, verstehen Sie? Niemandem. Männer sind so dumm! Sie haben sie vor mir versteckt, haben ihre Wunden abgedeckt, als würde ich deshalb weniger leiden. Woher haben Männer nur diese Vorstellungen über Frauen? Wir sind diejenigen, die euch auf die Welt bringen, euch pflegen, wenn ihr krank seid, und die Toten herrichten. So ist es immer gewesen, und so soll es auch sein. Wie können sie es da wagen, mir mein Kind wegzunehmen? Ich hätte ihr das schöne Haar bürsten und ihren armen kleinen Körper waschen wollen. Warum könnt ihr nicht verstehen, was ihr mir angetan habt, ihr Leute?«
Sie zerrte an seinem Arm, ihr kummervolles Gesicht schaute zu dem seinen auf, und er kam sich dumm vor, schämte sich dafür, daß er gehofft hatte, sie hätte den Leichnam ihres Kindes nicht gesehen. Denn sie hatte recht, nur konnte er ihr nicht helfen.
»Dieser Unhold schlitzt sie auf, und dann machen sich andere Männer, Fremde, an ihr zu schaffen, zerren sie herum… Ich hab sie gesehen, ich hab sie von hier oben gesehen, hab gesehen, wie sie sie herumgedreht haben. Oh, Gott helfe mir, ich wußte, daß ich sie verloren hatte. Glauben Sie mir, damit hatte ich mich abgefunden. Wenn man sie uns genommen hat, wollte ich mich damit abfinden, aber ich hab gebettelt, sie angefleht, bitte, laßt mich sie tragen! Laßt mich die jungen Glieder waschen und halten, laßt mich Abschied nehmen. Laßt es zu, daß die Hände ihrer Mutter sie als letzte berühren, denn es waren ja auch die ersten… Aber sie haben sie mir weggenommen. Sie haben sie mir
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