Das Ungeheuer von Florenz
die Polizei ihn aus unserer Region auswies, war ich, das muß ich zugeben, erleichtert. Sie können sich vorstellen, wie meine Mutter darauf reagiert hat: ›Sag ja nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Er ist ebenso der Sohn seines Vaters wie der Margheritas.‹ Es genügt wohl, wenn ich sage, daß die ganze Sache gescheitert ist.«
»Sie haben getan, was Sie konnten.«
»Ich tue immer noch, was ich kann, Maresciallo, aber anscheinend ist das nie genug. Meine Schwester, dann das…«
»Ich verstehe sehr gut, wie Ihnen zumute ist, Signora, doch ich wünschte, Sie würden einmal überlegen, ob Sie es Silvano noch weiter gestatten wollen, Ihr ganzes Leben zu ruinieren. Ihm müssen Sie die Schuld zuschreiben, nicht sich selbst. Er hat Ihre Schwester umgebracht, nicht Sie.«
»Aber was ich der Polizei das letzte Mal gesagt habe, hat nicht zur Verurteilung geführt. Warum also wollen Sie es noch einmal hören? Suchen Sie ihn?«
»Nicht direkt.«
»Sie wissen immer noch nicht, wo er sich aufhält?«
»Fürchten Sie sich vor ihm?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie dachte einen Augenblick über diese Frage nach und faltete das Taschentuch, das sie zwischen den Fingern hielt, auf und zu. »Seit ich zwölf war, seit den Tagen unmittelbar nach Margheritas Begräbnis, habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Dann ist er verschwunden, und ich bin, als ich alt genug dafür war, ja auch sofort von Sardinien weggegangen. Danach sah ich ihn erst 1988 wieder, vor Gericht. Das war das einzige Mal, daß ich wieder einen Fuß auf Sardinien gesetzt habe. Ob ich mich fürchte? Ich kann es wirklich nicht sagen. Ich hätte ihn ehrlich gesagt gar nicht erkannt, wenn er nicht auf der Anklagebank gesessen hätte. Sein Haar war grau geworden, wie meines auch. Aber ich weiß zumindest, wo er sich aufhält. Er ist in Uruguay.«
»Er ist wo? Woher wissen Sie das?«
»Von meinem Neffen. Ich sehe ihn nicht mehr, es ist mir auch recht so. Und er selber nimmt auch nur Verbindung zu mir auf, wenn es etwas Neues von seinem Vater gibt. Sie denken sicher, wir dächten an nichts anderes als an Silvano.«
»Nein, nein.«
»Es gibt noch einen dritten Menschen, der ihn genauso haßt wie wir zwei, oder vielleicht fast genauso. Silvanos zweite Frau. Ich habe sie zwar nie kennengelernt, aber ich vermute, daß sie und Amelio ab und zu noch zusammenkommen. Wo Silvano jetzt ist, wissen wir nur deshalb, weil sie in die Scheidung einwilligte, um die Silvano sie durch seinen Anwalt in Sardinien gebeten hatte. Er wollte nämlich, ob Sie es glauben oder nicht, wieder heiraten und hat das auch getan. In Uruguay eben.«
»Ich bin froh, das zu wissen, aber ob sich mit der Information etwas anfangen läßt, muß sich noch erweisen. Und jetzt fahre ich Sie besser zum Bahnhof, denn sonst versäumen Sie noch Ihren Zug.«
Als sie sich von ihm verabschiedet hatte, sah er ihr nach. Die Schultern ein wenig nach vorn fallend, die Tasche fest umklammert, das Gesicht ängstlich und abweisend, so verschwand sie im Bahnhofgebäude. So viele zerstörte Leben. Der Maresciallo hörte förmlich Di Mairas Stimme: »Fangen Sie den Mistkerl ein…Er ist es, er ist es!«
Di Maira hatte ebenfalls mit dieser Frau gesprochen, aber, überzeugt von Silvanos Schuld, ihr offenbar nicht allzu genau zugehört.
17
»Marco? Ich weiß, und es tut mir auch sehr leid, aber ich habe gestern in keine Zeitung gesehen. Komm doch zu mir rüber, wenn du gegessen hast.«
Er legte auf und wandte sich wieder konzentriert der Lektüre zu.
UMFASSENDES GESTÄNDNIS »Aber ins Gefängnis gehe ich nicht.«
»Oh, Gott…«
Das Gesicht des Mannes mit seinem manischen Ausdruck und der vergrößerte Ausschnitt aus dem Gemälde hinter ihm, der lange weiße Hals und die dunklen Locken, die sich über die Schulter ringelten, waren nicht zu verkennen. Der Maresciallo durchsuchte die farbige Zeitungsbeilage nach dem zugehörigen Artikel. Hatte er Selbstmord begangen? Waren die Worte, ins Gefängnis werde er nicht gehen, ein versteckter Hinweis darauf? Da war er ja… Hastig überflog er den Artikel, aber von einem Selbstmord war dort nichts erwähnt. Noch mehr Fotografien, Gemälde, Zeichnungen, und dann ein Foto des Ateliers, auf dem ein Stück eines der großen Safes gerade noch erkennbar war. Daneben Benozzetti selbst, der einen hellen Kittel trug. Auf der Staffelei neben ihm das Porträt von Anna Caterina Luisa dei Gherardini.
Ich bin kein Fälscher. Ich bin kein Krimineller. Ich bin Maler. Ich habe mein ganzes
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