Das Ungeheuer von Florenz
als drei Meter vorangekommen.
»Nein, Signore.«
»Winken Sie mit Ihrem Stöckchen und fahren Sie auf der Busspur an der Schlange vorbei, sonst stehen wir morgen noch hier.«
Der Fahrer tat, wie ihm geheißen, und sie kamen in ermutigendem Tempo bis zur nächsten Ampel voran. Es regnete nun richtig, die dicken Tropfen schlugen prasselnd in den aufgewühlten, schlammgrauen Fluß. Die bedauernswerten Menschen an den Bushaltestellen versuchten sich unter hochgeschlagenen Kragen und unter Schirmen zu schützen und verstopften damit die engen Gehsteige, so daß Passanten auf die Straße ausweichen mußten und Gefahr liefen, unter die Räder der hupenden Autos zu geraten.
Sie waren auf der rechten Uferseite in Richtung Ponte Vecchio unterwegs, und eine Weile bewegte sich die Kolonne gleichmäßig vorwärts, kam dann aber wieder zum Stehen. Ein städtischer Schutzmann, von dessen weißem Helm der Regen in Strömen herunterrann, winkte einem unsichtbaren Verkehrssünder zu und blies zornig in seine Trillerpfeife.
»Mich hat es auch gefreut, Sie zu sehen«, sagte der Maresciallo, als der Lärm ein wenig nachgelassen hatte, »obwohl ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, warum ich überhaupt dabei bin.«
»Nein?«
Ferrini schaute ihn von der Seite an, und falls er den Grund kannte, nannte er ihn nicht. »Sie haben recht, zu Fuß kommt man schneller voran, nur wird man eben naß. Wichtig ist nur, daß man sich keine Grippe einfängt, jedenfalls nicht vor dem strategisch richtigen Augenblick.«
»Gibt es denn einen strategisch richtigen Augenblick, um eine Grippe zu bekommen?«
»Bei diesem Fall wird es einen geben. Man sollte möglichst keine Grippe ungenutzt lassen. Ich habe den Eindruck, wir müssen hier in drei Tagen Stoff durchackern, für den man normalerweise einen Monat braucht.«
Er klopfte mit der Hand auf die neben ihm liegenden Akten. »Wenn Sie einen Blick hineingeworfen haben, wollen wir das alles dann mal durchsprechen?«
»Gute Idee.«
Der Maresciallo schätzte, es war Lesestoff für drei Monate und er würde ihn niemals in drei Tagen bewältigen.
»Gut. Wir sind da. Rufen Sie mich an. Warten Sie«, er zog eine Visitenkarte hervor, »verwenden Sie meine Durchwahl – und ich würde es nicht an die große Glocke hängen, daß wir uns treffen, verstehen Sie.«
»Natürlich.«
Dem Maresciallo, der niemals etwas an die große Glocke hängte, war durchaus klar, daß dies eine außerordentliche Situation war. Als er seinem Freund nachsah, der unter dem steinernen Torbogen davonchauffiert wurde, fragte er sich, ob zwischen den sechs Männern noch andere Geheimbündnisse geschmiedet wurden und wozu das alles führen sollte. Ihm selbst war dabei nicht wohl. Ihm war überhaupt nicht wohl.
3
»Ich stehe hinter einem Baum – er kann mich nicht sehen, ich ihn aber. Also: Er steht genau dort und sieht in das Auto rein – es ist pechschwarz, und er steht direkt neben dem Auto und sieht ihnen beim Vögeln zu, so nahe, wie ich jetzt vor Ihnen stehe, und in der einen Hand hat er eine Knarre und in der anderen ein Messer. Ich sehe, wie das Messer blitzt. Also, ich stehe dort, sehe, wie sie anfangen, sich anzuziehen, und ich sehe alles, was an ihr dran ist, jedes bißchen, und er steht dort wie eine Statue, regt sich nicht, und sie ziehen die Jeans an, aber oben nichts, und danach die Schuhe. Er schießt, acht-, neun-, zehnmal, einfach so, und dann geht er rum zur Beifahrerseite und zieht sie raus…«
Er geriet ins Stocken und verstummte, wartete vielleicht darauf, daß der Maresciallo ihm widersprach oder auf die Sprünge half oder ihn zumindest mit einer Frage unterbrach, doch der Maresciallo blieb stumm, die vorstehenden Augen waren ausdruckslos, die großen Hände lagen flach auf dem Schreibtisch vor ihm.
»Jedenfalls… Also, er zieht sie raus und von dem Auto fort, und er reißt ihr die Jeans vom Leib und spreizt ihr die Beine…«
»Verschwinden Sie«, sagte der Maresciallo ruhig.
»Warten Sie! Er zückt das Messer…«
»Verschwinden Sie«, sagte der Maresciallo noch einmal und stand auf.
Der alte Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs war alt und dick, und sein kariertes Hemd spannte so über seinem Bauch, daß man für die Knöpfe fürchtete. Seine Augen waren wäßrig und funkelten gierig schon bei dem Teil der Geschichte, den er bis jetzt erzählt hatte.
»Sie haben keinen Grund, mich so zu behandeln«, sagte er, zog seinen grünen Mantel vorn zusammen und setzte seinen Hut auf. »Ich tue
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