Das Ungeheuer von Florenz
eigentlich nett zu mir.«
»Warum sollte er auch nicht?«
Der Maresciallo veränderte seine Sitzposition auf der harten Kiste ein wenig und gab sich Mühe, den Stapel großer Aktenmappen, die daran lehnten, nicht ins Rutschen zu bringen.
»Achten Sie nicht auf die Mappen, die gehen schon nicht kaputt. Es tut mir leid, daß es hier drin so kalt ist, aber wahrscheinlich hat mein Vater dieses Atelier nur als Lagerplatz benutzt. Ich werde mir ein Heizgerät kaufen müssen.«
Er hatte drei Pullover übereinander angezogen, und trotzdem waren seine Hände blau vor Kälte. »Ich weiß auch nicht, warum ich gar nicht damit gerechnet habe, daß er ganz angenehm sein könnte. Vielleicht, weil Sie ihn nicht mochten.«
»Wahrscheinlich mochte eher er mich nicht«, entgegnete der Maresciallo, »und doch fiel mir auf, daß es ihn schon freute, mit jemandem reden zu können, auch wenn ich ihm nicht sympathisch war. Du warst sicher ein besserer Zuhörer.«
»Weil ich der Sohn meines Vaters bin?«
»Das wollte ich damit nicht sagen, aber vielleicht hast du recht.«
»Er ist ein interessanter Mensch, finde ich.«
»Daran habe ich nie gezweifelt.«
»Jedenfalls hat er mir ein paar seiner eigenen Arbeiten gezeigt, ziemlich altmodisches Zeug, wenn ich ehrlich sein soll, aber handwerklich gut. Und er hat etwas restauriert, das für mich aussah wie ein Mantegna.«
»Bist du sicher, daß er es restauriert hat?«
»Ja, er hat es mir auch gesagt, und er hat mir von seinen ersten Jahren in Rom erzählt, wo er bei irgendeinem alten Mann Restauration gelernt hat. Er hat immer wieder ›Wenn ich nur einen Sohn wie Sie hätte‹ und ähnliche Sachen gesagt. Viele Kunsthandwerker sind so, finden Sie nicht? Und selbst wenn sie einen Sohn haben, hat dieser Sohn meistens alles andere im Sinn, als ein Handwerk zu lernen. Das bringt kein Geld. Auf eine Art tut er mir leid, wie er da in diesem seltsamen Atelier eingesperrt ist, keinen Menschen zu Gesicht bekommt. Er scheint keine Freunde, keine Familie zu haben.«
»Er hat es nicht anders gewollt«, warf der Maresciallo ein.
»Da bin ich mir nicht ganz sicher – na ja, zum Teil haben Sie bestimmt recht. Ich kam jedoch nach ein, zwei Bemerkungen, die er machte, zu dem Schluß, daß es nicht ganz allein seine Schuld ist. Zum Beispiel hat er mir erzählt, daß man ihn mit neun Jahren in eine Erziehungsanstalt gegeben hat… nicht, daß er sich darüber beklagt hätte, im Gegenteil, er sagte, dort sei er glücklicher gewesen, dort habe er zeichnen gelernt.«
»Er war Waise?«
»Nein, bestimmt nicht, denn er sagte, mit vierzehn sei er wieder zu seinen Eltern nach Hause gekommen – zu seinem Vater und seiner Stiefmutter, seine eigene Mutter war gestorben, als er noch ganz klein war. Ich war es, der das Thema Eltern aufgebracht hatte. Ich finde es immer noch schwierig, über meinen Vater zu sprechen, ohne daß sich alles in mir sträubt. Überrascht hat mich allerdings, daß Benozzetti ihn nicht verteidigt hat, dabei waren sie Freunde.
›Lösen Sie sich von ihnen, sobald Sie können. Das ist das einzige, was Sie tun können. Sich lösen.‹ Als hätte er vergessen, daß mein Vater tot ist. Ist Ihnen, als Sie dort waren, diese unheimliche Narbe über seinem Ohr aufgefallen?«
»Und ihm fehlt ein Stück des linken Ohrs.«
»Stimmt, es ist ja Ihre Aufgabe, solche Dinge zu bemerken… Jedenfalls wetterte er ganz generell über Eltern wenn er über irgendwas spricht, ist es gleich immer eine Schimpfkanonade, nicht?«
»Ja.«
»Es würde einen verrückt machen, wenn man sich das länger anhören müßte. Jedenfalls, er schimpfte immer weiter, bis er ganz dunkelrot im Gesicht war, und zum Schluß sagte er: ›Ihr Vater hat Ihnen sein Atelier vermacht. Mein Vater hat mir das hier vermacht!‹ Und zeigte dabei auf die Narbe. Dann sagte er kein Wort mehr. Er bereute bestimmt, daß ihm das entschlüpft war, da bin ich mir ziemlich sicher. Danach drängte er mich regelrecht zur Tür hinaus. Wenn man darüber nachdenkt: diese Narbe, und von den eigenen Eltern weggebracht zu werden – eine Kopfverletzung könnte doch der Grund dafür sein, daß er so seltsam ist, nicht? Und mir kam der Gedanke, daß er all diese Jahre vielleicht in einer Klinik war. Wenn er seinem Vater die Schuld gibt, war es vielleicht ein Autounfall, irgend etwas in der Art, und sein Vater war verantwortlich.«
»Könnte sein.«
»Ich sehe Ihrem Gesicht an, daß er Ihnen nicht leid tut.«
»Nein, nein… so ist das nicht.
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