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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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hörst du? Wir haben uns unser ganzes Leben lang abgerackert und nie…«
    »Ich weiß gar nichts.«
    »Wir haben uns unser ganzes Leben lang abgerackert.«
    »Unser ganzes Leben lang…«
    »Und wir haben nie jemandem etwas Böses getan.«
    »Nie jemandem etwas Böses getan. Aber was, wenn…«
    »Hörst du mir denn nicht zu? Was wenn, was wenn! Natürlich werden sie dir ein bißchen zusetzen, aber du weißt ja nichts, richtig? Du weißt nichts, und du sagst nichts. Du sagst: ›Ich weiß nur, daß wir uns unser ganzes Leben lang abgerackert und nie jemandem was Böses getan haben.‹ Denn wenn du mehr sagst, haken sie da gleich nach, merk dir das, und sie schreiben das auch auf. Sie schreiben alles auf, und dann haben wir's. Dann sagen sie: ›Seine Frau hat dies gesagt‹ und ›Seine Frau hat das gesagt‹. Vor Gericht sagen sie das, diese Bastarde. Die machen dich fertig, wenn du den Mund aufmachst, also paß auf. Sie drehen dir jedes Wort, das du sagst, im Mund herum, und wenn du etwas vergißt und einen Fehler machst und es dir später einfällt, sagen sie, du hättest gelogen. Drum halt dich kurz, verstehst du! ›Wir haben uns unser ganzes Leben lang abgerackert und nie jemandem etwas Böses getan, ich nicht und mein Mann auch nicht. Lassen Sie uns in Frieden.‹«
    »Heilige Muttergottes, wie soll ich das bloß schaffen… Der Teufel soll sie alle holen, was soll ich bloß machen… Ich und mein Mann, wir haben uns unser Leben lang… Wir haben nie… Heilige Muttergottes…«
    »Ich kriege nichts mehr rein… ich hab sie verloren…«
    Der junge Noferini saß an der Abhöranlage, doch sosehr er sich auch mühte, mehr als ein Rauschen war nicht zu vernehmen. Dann war es plötzlich still.
    Der Maresciallo verstand nichts von den technischen Problemen, sagte aber: »Sie weint. Vermutlich hat sie den Kopf ins Kissen gedrückt.«
    Er erhob sich von der Kante der steinharten Einzelliege, auf der er gesessen hatte, und ging in gehörigem Abstand zu dem niedrigen kleinen Fenster ein wenig hin und her. Jeder Schritt war auf den unebenen roten Fliesen zu hören. Es war kurz vor halb drei Uhr nachts, und in dem Raum war es kalt wie in einem Grab. Er hatte in seinem Paletot dagesessen, und nun langte er in die Taschen und streifte sich die Lederhandschuhe wieder über. Wie es der Zufall wollte, hatte dieses Haus, dem Haus des Verdächtigen genau gegenüber, keine Heizung. Viele dieser alten Häuschen auf dem Lande waren von den Bauern, die sie errichtet hatten, aufgegeben worden, und später waren junge Leute eingezogen, die der Stadt entfliehen wollten, oft auch Ausländer. In dieses aber nicht. Bis auf den Fernsehapparat und die Waschmaschine war das Haus seit Jahrzehnten unverändert, und die einzige Feuerstelle, ein großer Kamin, um den herum Eichen- und Olivenholz gestapelt war, befand sich in der Küche.
    »Kriegen Sie immer noch nichts rein?«
    »Keinen Piepser. Er ist vielleicht aufgestanden… Da ist er… Ich verstehe kein Wort, vielleicht ist er pinkeln gegangen. Aber Sie haben recht, die Frau weint.«
    »Kein Wunder. Ich gehe mal kurz nach unten.«
    Er nahm eine Taschenlampe mit. In der Küche war es viel wärmer, und die Reste eines Holzscheits glühten unter der Asche auf, als er darauf blies. Eine kleine Maus mit rosa Öhrchen und langer Nase kam unter dem Holzstoß hervorgehuscht und fixierte ihn aus runden Äuglein mit einem Blick, der mehr verärgert als erschreckt war. Sie trippelte wieder davon und wartete wohl darauf, daß dieser Eindringling, der zur Unzeit gekommen war, von selbst verschwand.
    Er dachte an das Haus seiner Mutter und ihren unerklärten Krieg gegen die frechen Feldmäuse, die jeden Abend ins Haus kamen und ein warmes Plätzchen und etwas Freßbares suchten. Ihr strenger Zeitplan wurde nur durch Geburten, Todesfälle und Hochzeiten unterbrochen, niemals jedoch war die Polizei zu ihnen ins Haus gekommen.
    Er fand einen Schürhaken, drehte den glühenden Holzscheit um und wärmte sich die Hände. Man konnte nicht so richtig abschätzen, ob sie – wie die Mäuse – die Familie, die hier wohnte, mit ihrer Anwesenheit störten. Der Mann – er war um die fünfzig – arbeitete immer noch für die Contessa, der das ganze Land gehörte, nun aber nicht mehr als Bauer, sondern als Lohnarbeiter. Er hatte sein Häuschen nicht für eine Wohnung im Dorf verlassen mögen, weil er, obwohl seine Frau sich dafür ausgesprochen hatte, nicht auf seinen Gemüsegarten und auf seine Hasen hatte

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