Das Ungeheuer von Florenz
Krankheit gibt es nichts, womit wir nicht fertig werden könnten.«
»Es ist nur… wenn ich an die lange Fahrt ohne dich denke. Dadurch ist alles wieder hochgekommen. Damals ging es eben nicht anders. Wir haben die Zähne zusammengebissen und durchgehalten. Die ewigen Fahrten, und dann dich einmal in der Woche anrufen, und manchmal konnte ich dich nicht hören.«
»Was soll das heißen, du konntest mich nicht hören? Nein, behalt es, du weinst ja immer noch. Was soll das heißen?«
»Ich hab dich nie gut verstehen können, manchmal lag es an der Leitung und manchmal daran, daß du so brummelst und grummelst.«
»Ich habe dich immer gut verstanden.«
»Ich hab ja auch in den Hörer hineingeschrien.«
»Das stimmt.«
»Mir war nie klar, wie elend ich mich eigentlich fühlte. Weißt du, ich glaube, ich habe in den ganzen Jahren kein einziges Mal geweint, erst als deine Mutter starb. Ich konnte es mir nicht leisten, mich gehenzulassen.«
»Und warum weinst du dann jetzt?«
»Vermutlich, weil ich es mir jetzt leisten kann. Als ich an die Zugfahrt dachte, kam alles hoch. Die ganzen Jahre. Ich will nicht fahren, Salva.«
»Na, dann bleib hier.«
Er zog ihren Kopf an seine Schulter. Er strich ihr weiter übers Haar, bis ihr Atem wieder ruhiger wurde.
Nach einer Weile sagte er: »Ich frage mich, was ich gesagt habe.«
»Wann?«
»Wenn du mich nicht hören konntest.«
»Weiß der Himmel. Du hast ja nie viel geredet.«
»Nein.«
»Trotzdem, es hat mich so geärgert, wenn ich deine Worte nicht verstehen konnte. Ich habe gedacht… Die Kinder werden enttäuscht sein, wenn wir nicht fahren, oder?«
»Ich denk schon. Aber deine Familie noch mehr.«
»Und was ist mit deiner Schwester?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Sie sollte doch Weihnachten mit uns verbringen, bei meiner Familie. Sie hat sich entsprechend eingerichtet. Ist dir klar, wie einsam sie ist, jetzt, wo deine Mutter gestorben ist und wir nicht mehr da sind.«
»Sie kann doch trotzdem hingehen.«
»Natürlich kann sie, aber das wird sie nicht tun, nicht, wenn wir nicht kommen. Schließlich ist es meine Familie. Glaubst du, sie würde hierherkommen, zu uns?«
»Du kannst sie ja fragen, aber du weißt doch, wie sie ist, wenn sie allein Bahn fahren soll.«
»Ich muß sie anrufen. Meine Schwester auch – und schauen, ob ich das Geld für die Fahrkarten zurückerstattet bekomme, und mit den Jungs reden, und wenn wir nicht fahren, hätten wir die Geschenke schon vor Wochen auf der Post aufgeben müssen…«
Als er merkte, woher der Wind wehte, konnte er gerade noch im Halbschlaf murmeln: »Mach dir keine Sorgen… und wenn du meinst, daß du fahren solltest, kriege ich bestimmt wenigstens ein paar Tage frei und kann nach Catania fliegen.«
Sie fuhr am Heiligabend mit den Jungs ab, nicht ohne am Bahnhof ein paar Tränen zu vergießen.
»Haben wir die richtige Entscheidung getroffen?«
»Ich finde, ja. Ich hab sowieso rund um die Uhr zu tun. Und ich hab ein besseres Gefühl, wenn ich weiß, daß du deine Familie um dich hast und die Jungs mit ihren Cousins Spaß haben.«
»Gib mir das Päckchen. Also: Der Kühlschrank ist voll, und von der Fleischsauce sind noch zwei Gläser da. Die mußt du aufbrauchen, vergiß es nicht, sie halten nur ein paar Tage. Salva, hörst du mir überhaupt zu? Giovanni, halt deine Tasche fest, auf einem Bahnhof darf man nie seine Tasche loslassen.«
»Sie ist schwer.«
»Mach, was ich dir sage. Salva?«
»Steigt ein und mach dir keine Sorgen. Ich rufe dich an.«
»Wirst du auch schreien?«
»Ja, ich schreie. Steigt ein, sonst fährt der Zug noch ab.«
Er sah mit schwerem Herzen dem davonrollenden Zug nach.
Am Morgen des 25. Dezember um acht Uhr, die Journalisten schliefen nach dem Mitternachtsessen noch, wurde der Verdächtige aus dem Gefängnis entlassen. Keine Menschenseele war vor den Gefängnistoren zu sehen, doch vorsichtshalber fuhr man ihn in einem Bäckerei-Lieferwagen nach Hause.
7
»Heilige Muttergottes, können wir nicht endlich schlafen? Wenn ich morgen todmüde bin, wird alles nur noch schlimmer. Was soll ich ihnen denn sagen? Hinter dir sind sie doch her, was soll ich ihnen sagen?«
»Du hältst den Mund! Du sagst, was ich dir eingetrichtert hab, und ansonsten hältst du den Mund! Du dummes Weib, die werden dich total in die Enge treiben. Du sagst, du und ich haben uns unser ganzes Leben lang immer abgerackert und nie jemandem etwas Böses getan. Und sieh zu, daß du nicht anfängst zu quasseln,
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