Das Ungeheuer von Florenz
verzichten wollen. Seine Frau, Marilena hieß sie, hatte ihm das nie verziehen und würde es ihm, wie man sah, auch nie verzeihen. Der Maresciallo verübelte es ihr nicht. Eine funkelnagelneue kleine Wohnung, Zentralheizung, glatte moderne Böden, keinen Rauch und keine Asche, keine Treppen, auf denen sie mit ihren müden Beinen Wassereimer hinauf- und Wäsche hinab- und hinaufschleppen mußte… Es wäre ein Paradies gewesen für die erschöpfte Frau und hätte ihr sicher ein angenehmeres Alter und vermutlich auch ein längeres Leben ermöglicht. Es war auch eine erwachsene Tochter im Haus, eine rundliche junge Frau, die in der Wurstfabrik in der Nähe des Dorfes arbeitete. Sie machte kaum den Mund auf, auch nicht, wenn Noferini sie zu necken versuchte, weil er hoffte, daß dann die Atmosphäre im Haus entspannt blieb. Die alte Mutter des Mannes war kurz zuvor gestorben, deshalb stand ihnen das Schlafzimmer für ihre Observation zur Verfügung.
Die Familie ertrug die Anwesenheit der Polizisten klaglos. Sie konnte nicht anders. Bevor der Verdächtige entlassen worden war, hatten sie wie alle anderen Nachbarn auch bitterlich und in aller Öffentlichkeit geklagt, man wisse doch, wie gefährlich der Mann sei, und es sei empörend, daß sie ihm nun wieder ausgesetzt seien. Ihre Furcht wirkte echt, obwohl der Maresciallo sie insgeheim für übertrieben hielt. Allabendlich hörte die Familie, wie er seine Frau anschrie und wütete, doch dies war weniger der Grund für ihre Furcht als das Wissen – sie hatten es in der Zeitung gelesen –, daß er vor vierzig Jahren in einem anderen Dorf einen Mann umgebracht hatte. Daß man ihn beschuldigte, das Monster zu sein, schien den Großteil der Leute im Dorf nicht zu berühren. Mehr beschäftigte sie da schon die große Zahl von Journalisten und Touristen, die Tag für Tag bei ihnen herumlungerten. Und das würde sicher noch schlimmer werden.
Die rosa Öhrchen tauchten wieder hinter den Holzscheiten auf, und die Maus beäugte ihn ernst. Der Maresciallo seufzte, wandte sich von der schwachen Wärmequelle ab und kehrte in das eisigkalte Schlafzimmer zurück.
»Wie läuft's?«
»Er ist wieder im Bett.«
»Der hat's gut.«
»Ich glaube, er hat ein Aspirin genommen oder so etwas.
Auf alle Fälle ist er jetzt eingeschlafen. Sie brabbelt noch vor sich hin, aber davon kann man nicht die Hälfte verstehen.«
»Heilige Muttergottes… Was werd ich nur… Wir rackern uns ab, wir haben unser ganzes… und wir haben nie jemandem etwas Böses getan, haben nie jemandem etwas Böses getan… Ich kann nicht, wie kann ich denn… Was werden sie mich fragen? Ich sage bloß, wir arbeiten schwer, was anderes weiß ich nicht, wir rackern uns ab… Muttergottes. Nein… ich werd nein sagen. Sie können mich nicht zwingen. Ich sage… ich sage, nein, ich geh jetzt, nein, vielen Dank, ich geh jetzt, ich kann zu Fuß heimgehen… Ich kann mit dem Bus fahren und den Rest laufen. Ich will nicht, daß sie mich ins Auto setzen. Was werden sie mit mir machen? Ich will nicht… ich… Polizeirevier, oh, Gott.«
»Guten Morgen, Signora.«
»Guten Morgen. Haben Sie irgendeinen Wunsch?«
»Nein, Signora, nichts, danke. Wir gehen jetzt.«
Jedesmal wollte die Frau ihnen etwas anbieten und ließ nicht locker, obwohl sie Dutzende Male erklärt hatten, daß sie nichts annehmen würden. Der Mann war bereits zur Arbeit gegangen. Sie hatten ihn aus dem oberen Fenster zur gleichen Zeit gehen sehen wie seinen Nachbarn, den Verdächtigen. Die Männer hatten einander zugenickt. Dann hatte das Polizeiauto die Frau des Verdächtigen abgeholt. Sie ließ sich ohne Widerstreben in das Auto setzen. Sie war die ganze Nacht über wach gewesen und kurz nach sechs Uhr morgens aufgestanden. Vermutlich war sie zu erschöpft, um irgendwie zu reagieren. Der Maresciallo ging nach unten, nachdem er den Wagen hatte abfahren sehen. »Guten Morgen, Signorina.«
»Morgen.«
Sie erwiderte den Gruß, ohne aufzusehen, wie sie es immer tat, und setzte sich vor das Frühstück, das ihre Mutter ihr hingestellt hatte. Schweigend brach sie sich eine Brioche und ließ die Stückchen in die Schale mit Milchkaffee fallen, um sie dann mit einem Löffel wieder herauszuholen. Sie beugte den Kopf über die Schale, die Augen fast geschlossen. Ihre Mutter stand dicht neben dem rauchenden Feuer und putzte ihrer Tochter die Schuhe.
»Hier. Du hast eine Laufmasche im Strumpf.«
»Macht nichts.«
»Gehst du heute abend weg?«
»Mutter!«
»Ich
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