Das Ungeheuer von Florenz
linken Schulter und seinem linken Knie befindet sich Blut.
Die weibliche Leiche befindet sich in zurückgelehnter Position auf dem Fahrersitz, der Kopf ist nach links geneigt, die Arme hängen neben dem Körper herab. Ihr Oberkörper ist bis zur Taille entblößt. Ihre Schuhe liegen unter dem Beifahrersitz. Auf ihrer halbentblößten Brust sind deutlich Schußwunden erkennbar. In der Nabelgegend hat sich Blut gesammelt. Die Goldkette, die sie um den Hals trägt, ist an zwei Stellen gerissen; das Kettenstück zwischen den Rißstellen klebt aufgrund des Körperschweißes an der Haut.
Hinter dem rechten Vordersitz finden sie eine Kugel des Kalibers 22 Long Rifle. Drei Hülsen gleichen Kalibers mit einem eingestanzten H werden auf der linken Bodenseite des Wagens gefunden. Später finden sie noch zwei auf dem Rücksitz des Wagens und eine in den Kleidern der Frau. Drei Projektile stecken im Körper der Frau, eines im Körper des Mannes.
Zwischen Vorder- und Rücksitzen stehen auf dem Wagenboden ein Paar Kinderschuhe, vermutlich die Nicolinos.
Ein im Ort praktizierender Arzt wird herbeigerufen, welcher bescheinigt, daß der Tod beider Opfer durch Verbluten eintrat, wofür die Schußverletzungen ursächlich waren. Die Obduktion wird mehrere Monate später erweisen, daß beide Opfer viermal getroffen wurden und daß die Eintrittswunden bei beiden sehr dicht nebeneinanderlagen, ausgenommen ein in den Arm der Frau abgefeuerter Schuß. Dies und die unterschiedlichen Schußbahnen lassen zwei Schlüsse zu: Entweder hat sich die Frau bewegt, nachdem sie in den Arm getroffen wurde, oder die Schüsse wurden von zwei verschiedenen Standorten, eventuell sogar zwei Angreifern, abgefeuert. Diese Frage ist noch ungeklärt.
Zwei Tage später erklärt der Ehemann des weiblichen Opfers, Sergio Muscas, der den Hergang des Mordes schildert, die Sitzhaltung der Frau. Sergio Muscas erläutert außerdem, wie der Mann seinen Schuh verlor und warum das Blinklicht eingeschaltet war, macht hingegen keine Angaben dazu, warum das männliche Opfer kurz vor seinem Tode noch versuchte, sich die Hose hochzuziehen. Der Mann der Toten gibt an, seine Ehefrau habe auf dem Mann gelegen, kurz bevor die Schüsse abgefeuert wurden. Es wäre demnach möglich, daß das männliche Opfer jemanden näher kommen sah und sich instinktiv bedecken wollte.
In der Handtasche des weiblichen Opfers wurden 27000 Lire sichergestellt, die den Mörder offensichtlich nicht interessierten. Beide Körper wurden nach dem Eintritt des Todes bewegt. Als Muscas den Mord an seiner Frau und ihrem Liebhaber gesteht, gibt er an, er habe den Körper seiner Frau von dem des Mannes heruntergezogen. Zu dem Geschehen nach der Tat verfügen die Carabinieri über folgende Aussage Nicolinos: »Meine Mama hat ihr Geld unter den Autositz gestellt, und Onkel Fabio hat in die Tasche von meiner Mama geguckt, und dann hat er im Handschuhfach rumgekramt, und dann ist er weggegangen.«
Zu diesem Zeitpunkt ließ sich noch nicht feststellen, ob die Geschichte des Kindes glaubwürdig war. Sie wurde anscheinend jedoch für bare Münze genommen.
1.3. Analyse des Verhaltens von Nicolino Die allgemeine Beschreibung des Tatgeschehens muß durch eine weitere Beobachtung ergänzt werden. Zunächst einmal kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß Nicolino sich zur Tatzeit im Auto befand. Dafür sprechen drei Tatsachen: Er erschien eine Stunde nach der Tat in einem eine Stunde Fußmarsch entfernten Haus und wußte alles über den Tod seiner Mutter. Seine Schuhe befanden sich noch in dem Auto. Er konnte zwei verschiedene Wege angeben, auf welchen man zum Tatort gelangen konnte.
Nicolino muß den Hergang des Mordes gesehen haben, und selbst wenn er geschlafen haben sollte, muß er von den ersten Schüssen aufgeweckt worden sein. (Ein Schalldämpfer wurde nach den Untersuchungen der Ballistikexperten nicht verwendet.) Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, daß er die Person oder Personen, welche die Schüsse abgab oder abgaben, auch sah und erkannte. Er muß jedoch gesehen haben, wie die Körper der Opfer bewegt wurden, es sei denn, er selbst wurde aus dem Wagen herausgeholt, bevor dies geschah.
Es kann zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, ist aber sehr unwahrscheinlich, daß Nicolino die Straße nach Pistoia ganz allein fand. Die Entfernung zwischen dem Tatort und dem Haus Rossinis beträgt ungefähr zwei Kilometer; sie zu Fuß zurückzulegen dauert minimal etwa dreißig bis maximal etwa
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