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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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sechzig Minuten. Die Nebenstraße verläuft fast gerade bis kurz vor ihrem Ende, wo sie eine Kurve nach rechts beschreibt und durch eine kleine Brücke über den Vingone (der im Sommer ein fast ausgetrockneter Graben ist) mit einer anderen Nebenstraße verbunden wird. Wenn man sich an dieser Stelle nach links wendet und in ursprünglicher Richtung weitergeht, sieht man die Straße nach Pistoia und das Haus Rossinis direkt vor sich. Das Haus ist deutlich erkennbar, sogar nachts. Es ist groß und weiß und wird von einem unterhalb des Daches befestigten Scheinwerfer angestrahlt (wie er bei vielen Häusern an dieser ansonsten unbeleuchteten Straße angebracht ist). Um zu dem Haus zu gelangen, mußte Nicolino die Hauptstraße überqueren. In der Mordnacht konnte man diese Strecke weder mit einem Moped noch mit einem Fahrrad zurücklegen, und selbst mit festem Schuhwerk war es sehr schwierig. (Der Maresciallo des Ortes ging die Strecke mit dem Jungen am folgenden Tag ab.) Nicolino jedoch legte die Strecke bei vollkommener Dunkelheit und in Strümpfen zurück, und seine Socken waren weder zerrissen noch schmutzig. An der abzweigenden Landstraße befinden sich mehrere kleine Bauernhäuser, und die Straße selbst gabelt sich mehrere Male, abgesehen davon wäre es für das Kind leichter gewesen, die Straße in die Richtung zurückzugehen, aus der es im Auto gekommen war. Dann wäre Nicolino schon in circa einer Minute an die Straße nach Signa gelangt, wo sich unmittelbar an der Kreuzung ebenfalls ein Wohnhaus befindet, in dem er um Hilfe hätte bitten können.
    Nicolinos Angaben über die von ihm zurückgelegte Wegstrecke ergeben nur einen Sinn, wenn das Kind von einem Erwachsenen begleitet wurde, der den Weg noch im Dunkeln genau kannte und der gute Gründe hatte, ihn zu wählen.
    Insgesamt erscheint Nicolinos Verhalten erst schlüssig unter der Voraussetzung, daß er von einem Erwachsenen geführt wurde. Die ersten Sätze, die er nach Einlaß in das Haus Rossinis sprach, wirken auswendig gelernt und sorgfältig gewählt. Er kennt vermutlich seinen Nachnamen, gibt jedoch nur Nicolino an. Er weigert sich, genauere Angaben zu seinem Wohnort zu machen, nennt nur Lastra a Signa. Er sagt zuerst, daß sein Vater im Bett liege und krank sei, und erwähnt erst danach, daß seine Mutter soeben ermordet worden sei. Krank im Bett gelegen zu haben ist bis zu seinem Geständnis Sergio Muscas' Alibi. Bei allen diesen ersten Angaben drückt Nicolino keine Gefühlsregung aus. Er weint nicht. Er ist so ruhig und gefaßt, daß er seinen Begleitern nicht nur einen, sondern sogar zwei mögliche Wege zum Tatort beschreiben kann. Es drängt sich die Vermutung auf, daß Nicolino zum Haus Rossinis begleitet wurde, daß man ihm auftrug, dort zu läuten und nur das zu erzählen, was man ihm eingetrichtert hatte. Daher wurden die Opfer erst nach geraumer Zeit identifiziert, und bis zur Ankunft der Carabinieri im Haus von Sergio Muscas verstrich weitere Zeit.
    Nicolinos Bitte um Einlaß, gefolgt von dem Wunsch, erst schlafen zu dürfen und danach nach Hause gebracht zu werden, wirkt nicht wie eine natürliche Reaktion auf sein unmittelbar zurückliegendes Erleben. Sein ganzes Verhalten wirkt unnatürlich und in sich widersprüchlich. Derjenige, der das Kind instruierte, verfolgte offenbar die Absicht, die Carabinieri zuerst mit Nicolino zu dessen Haus zu schicken, um dort seinen Vater Sergio Muscas wie angegeben krank im Bett vorzufinden. Diese Person hatte nicht damit gerechnet, daß ein kleines, müdes und verschüchtertes Kind imstande war, die Carabinieri statt dessen zum Tatort zurückzuführen. Trotz Dunkelheit tut Nicolino jedoch genau das, gibt sogar eine andere Wegstrecke als die vorher von ihm im Auto zurückgelegte an und weist still auf die blutige Szene im Fahrzeug der Opfer, aus dem er unverletzt entkommen ist.
    1.4. Entfernungen Als nächstes beschäftigen sich die Ermittlungsbeamten mit dem Problem der Entfernungen. Von Lastra a Signa, wo Nicolino an jenem Abend mit seiner Mutter und seinem »Onkel« die letzte Kinovorstellung besucht hat, bis zu der Straße, auf der sie parkten, um sich zu lieben, sind es ungefähr fünf Kilometer. Die Straße steigt steil an und ist kurvenreich. Wer dem Wagen der späteren Opfer folgte, konnte dies selbst nur mit einem Fahrzeug tun. Daß der oder die Täter die Opfer aus einem Hinterhalt angriffen, ist ausgeschlossen, da die Opfer die Stelle, an der sie zu Tode kommen sollten, nicht besonders häufig

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