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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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erinnern, daß man ihm oft welchen gegeben hätte. Es lag vielleicht am Geruch, bei dem man an feuchtes Heu an einem schwülen, regnerischen Tag denken mußte.
    Er dachte an das sechs Jahre alte Kind. Mit einem Vater, der nicht ganz bei Verstand war, war es in der Dämmerung eines Sommertags zu seinem Zuhause zurückgewandert, das nun still und ohne Mutter war, und hatte gewußt, daß sein Vater sie erschossen hatte, ob mit oder ohne Hilfe durch eine andere Person. Lagen Sohn und Vater in jener Nacht wach, jeder von seinen eigenen Ängsten gequält? Der Maresciallo stellte sich einen seiner Söhne an Nicolinos Stelle vor, und der Gedanke war kaum zu ertragen. Er stand vom Tisch auf, und ihm fiel wieder ein, was er beim Aufstehen gewollt hatte, und das war bestimmt nicht Kamillentee. Er hatte dort zugegen sein wollen, dem Kind in die Augen sehen und wissen wollen, wann es log, wissen, wann es sich fürchtete und wann es nur bemüht war, gefällig zu sein und das zu sagen, was die, die es befragten, hören wollten. Die Methode der Wahrheitsfindung, die der Maresciallo anwendete, hatte nur wenig mit protokollierten Aussagen, die man ihm vorlegte, oder mit dem, was die Leute ihm sagten, zu tun. Er hielt sich an den Gesichtsausdruck der Menschen, die er befragte, an ihre nervös zuckenden Hände, an den Geruch ihres Schweißes. Er mußte es sehen und riechen, nicht lesen. Seufzend wanderte er mit dem Tee ins Schlafzimmer zurück und versuchte sich Klarheit über Sergios Verhalten zu verschaffen, was um so schwieriger war, als er ihn durch die verzerrende Perspektive eines anderen Menschen betrachten mußte. Warum hatte er auf einmal Flavios Bruder Silvano Vargius des Mordes beschuldigt? Silvano war ebenfalls einer der zahlreichen Liebhaber seiner Frau.
    »Silvano Vargius besaß eine Waffe, und er wollte nicht, daß meine Frau mit anderen Männern ging. Ich war krank und lag im Bett. Er war es.«
    Niemand hatte seiner Anschuldigung großes Gewicht beigemessen. Silvano war für die Polizei ein Unbekannter, und er hatte ein Alibi. Wer hätte den Verdacht auf Sergio, den Ehemann, der kein Alibi hatte, dessen Paraffintest positiv ausgefallen war und der überdies einmal ein Geständnis abgelegt hatte, aufgrund einer so haltlosen Beschuldigung fallenlassen? Sergios Anschuldigung war wertlos. Wie konnte er den Täter kennen, wenn er sich nicht selbst am Tatort befunden und das Geschehen mitverfolgt hatte? Als er merkte, daß niemand ihm glaubte, war Sergio, so minderbemittelt er sonst auch sein mochte, klar, aus welchem Grund.
    »Na schön, ich war da, aber es war seine Idee. Er hat gesagt, ohne sie wäre ich besser dran. Ich wollte nicht, aber er hat mich gezwungen. Wir sind ihnen nach dem Kino in Silvanos Wagen gefolgt. Sie hatten Nicolino hinten reingesetzt, und ich hab die ganze Zeit hingesehen, aber sein Kopf ist kein einziges Mal über dem Rücksitz aufgetaucht, und da wußte ich, er schläft. Als wir aus dem Auto ausgestiegen sind, hat er mir die Waffe gegeben und gesagt, es wären acht Schüsse drin.«
    Dies war einer der Punkte, die glaubwürdig klangen, was auch schon damals der Richter befand. Es waren tatsächlich acht Schüsse gewesen. Damals war die Obduktion noch nicht durchgeführt gewesen, Sergio konnte dies also nur gewußt haben, wenn er Tatzeuge gewesen war. Und da war noch die Geschichte, wie er die beiden Körper getrennt haben will.
    »Ich hab sie von ihm runtergezogen und mich am Lenkrad festgehalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren – dabei ist der Blinker angegangen. Dann hab ich ihn auf seinen Sitz zurückgewuchtet, und dabei ist sein Schuh am Schaltknüppel hängengeblieben. In dem Moment ist der Kleine aufgewacht.«
    »Und die Waffe?«
    »Die hab ich in den Graben geworfen.«
    »Wir haben den Graben durchsucht. Sie haben sie nicht in den Graben geworfen.«
    »Na gut, das war gelogen. Ich hab sie ihm zurückgegeben, aber der Rest stimmt. Ich hab Silvano die Waffe wiedergegeben und gesagt, ich hätte getan, was er wollte, und daß ich das Kind verschont hätte. Als er damals in Sardinien seine Frau umbrachte, hat er das Kind auch verschont.«
    »Seine Frau umbrachte? Was wollen Sie damit sagen?«
    »Ich sage nur das, mehr nicht.«
    Dieser Aussage wäre ich doch nachgegangen, dachte der Maresciallo und trank den letzten Schluck seines Tees. Doch dann kamen ihm Zweifel. Ihm wäre diese Aussage zwar aufgefallen, aber nach der Gegenüberstellung wäre es vielleicht doch Zeitverschwendung gewesen.

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