Das Ungeheuer von Florenz
dafür, daß überhaupt jemand sie heiratete, wo ihre Familie doch so arm war. Und umgekehrt, welche Frau hätte denn Sergio genommen? Du weißt doch, daß er nicht ganz richtig im Kopf ist.«
»Eins weiß ich auf jeden Fall: daß diese Schlampe ihre Schlüpfer nicht zwei Minuten am Stück anbehalten konnte. Und auch, daß sie bei den Männern im Dorf nur Bienenkönigin hieß. Euer Vater hat sich an den Bettelstab gebracht, weil er Sergios Schulden bezahlt hat, und warum? Weil sie den Männern auch noch Geld gab. Dieses Geld hätten wir erben können! Wenn sie doch wenigstens die Hände von dem Versicherungsgeld gelassen hätte!«
»Hör doch auf.«
»Mußte euer Vater das Haus verkaufen oder nicht? Wenn Sergio im Gefängnis geblieben wäre, hätten wir das bekommen. Was ist denn mit deiner Tochter, denk doch mal an sie! Sie hätte ein eigenes Haus gehabt! Das ist wieder mal typisch Mann. Denkt nur an sich! Und sorg dafür, daß Nicolino seinen Vater anruft. Wenn er und Sergio nicht bei der gleichen Version bleiben…«
»Bleiben sie schon, keine Sorge. Sergio beschuldigt weiter Flavio Vargius. Solange sie dabei bleiben, kann mir nichts passieren.«
»Das denkst du. Keiner von beiden hat doch noch soviel Verstand, wie er bei der Geburt mitgebracht hat. Geht Nicolino was arbeiten?«
»Ab und zu.«
»Ich nehme an, das heißt nein.«
»Ich tue, was ich kann.«
»Gib ihm kein Geld, hörst du.«
»Du stellst dir das so einfach vor…«
»Gib ihm einfach keins. Und wenn man ihn fragt, soll er sagen, er hätte hinten im Auto geschlafen und könnte sich an nichts erinnern. Er hätte niemand gesehen. Ist das klar?«
»Das hab ich ihm doch schon gesagt. Seine Diebstähle machen mir mehr Sorgen. Wenn ich ihm kein Geld gebe, beschafft er es sich anderweitig für seinen Stoff. Wenn er verhaftet wird…«
»Dich wird man verhaften, wenn du nicht aufpaßt. Es ist ja fast ein Wunder, daß Sergio nicht geplaudert hat, nun, wo er raus ist.«
»Er wird nicht reden, er ist fest entschlossen.«
»Ich hoffe nur, daß du recht hast. Wir wollen doch nicht, daß das auch noch rauskommt. Er hat sowieso schon genug Schande über uns gebracht.«
»Du weißt doch, wie er ist. Und Nicolino ist nicht besser. Ich tue ja, was ich kann, aber bei den beiden ist eine Schraube locker, und da kann ich nichts machen.«
Eine Schraube locker… ja, daran bestand kein Zweifel. Warum aber schützte Fabio seinen Bruder Sergio, der ihn ja immerhin einmal im Stich gelassen und ihm die Schuld zugeschoben hatte und der ihn nun abermals im Stich ließ und seinen Lebensabend in einem Hospiz verbrachte? Wegen Nicolino, klar, Sergio wußte, daß er seinen Bruder und seine Schwägerin brauchte – sie mußten sich um das Kind kümmern. Aber jetzt? Und wen mochte Sergio außerdem noch schützen?
»Er beschuldigt weiter Flavio Vargius.«
Was verheimlichte Sergio Muscas?
»Wir wollen doch nicht, daß das auch noch herauskommt.«
Aber was sollte nicht herauskommen? Bis zu einem gewissen Punkt konnte man das Geschehen nachvollziehen. Belinda hatte die Familie moralisch und wirtschaftlich ruiniert; kein Wunder, wenn Fabio Sergio half, sie loszuwerden.
»Onkel Flavio hat in die Handtasche von meiner Mama geguckt, und dann hat er im Handschuhfach rumgekramt…«
Das Geld von der Versicherung. Unmittelbar vor dem Mord hatten Sergio und Belinda sich von der Versicherung Geld für Verletzungen auszahlen lassen, die Sergio bei einem Unfall mit dem Moped erlitten hatte. Es war eine beträchtliche Summe, und offensichtlich hatte Belinda das Geld in die Finger bekommen. Dieses Geld hatte Fabio gesucht. Aber er hatte wie sein Bruder Sergio keine Waffe und kein Auto. Irgend jemand hatte diese Dinge zur Verfügung gestellt.
»Wir wollen doch nicht, daß das herauskommt. Wir wollen doch nicht…«
»Salva? Bist du es?«
»Wer denn sonst? Was ist los? Warum rufst du mitten in der Nacht an?«
»Es ist nicht mitten in der Nacht, gewöhnlich stehst du um die Zeit auf.«
Dem Maresciallo fiel ein Blatt Papier zu Boden. Er war im Dunkeln in die Diele gestolpert und tastete nun nach dem Lichtschalter. Er war nicht aus dem Bett gekommen und verstand im ersten Augenblick nicht, wieso. Aus irgendeinem Grund nahm sein verwirrter Kopf an, der Anruf käme aus dem Krankenhaus. Aus welchem Krankenhaus denn? Und warum?
»Ich dachte, ich sag's dir lieber. Nunziata geht es nicht besonders.«
Es war also eine böse Vorahnung. »Sie liegt im Krankenhaus?«
»Gütiger Himmel,
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