Das Ungeheuer von Florenz
sollten, doch er kam zu dem Schluß, das liege daran, daß sie noch naß waren.
Ein plötzliches zischendes Geräusch rief ihn gerade noch rechtzeitig zum Herd zurück, bevor die Suppe überkochte. Es war einfach lächerlich. Er hatte jahrelang selbst für sich gesorgt, und seine Leistung als Koch war vollkommen ausreichend, wenn es um die zwei, drei Gerichte ging, die er zubereiten konnte. Aber damals hatte er es nicht mit diesem Fall des Ungeheuers zu tun gehabt und sogar seine kleinen Einkäufe in Ruhe getätigt.
›So wie die hier hat noch keine Minestrone geschmeckt, die ich je gegessen habe.‹ Er brach sich einen Kanten des ziemlich alten Brotes ab und tunkte ihn unglücklich in den üblen Sud. Er wollte ja nicht klagen, aber hätte seine Schwester sich zu Weihnachten nicht so vollgestopft, während er hier ohne Weihnachtsessen allein zurückgeblieben und tagelang gearbeitet hatte… Er vergaß seinen Kummer jedoch bald, als er sich den Abschlußbericht des Richters wieder vornahm. Er stand nur einmal vom Lesen auf, und zwar, als er merkte, daß seine Konzentration nachließ, worauf er den kleinen Schwarzweißfernseher ausschaltete. Danach las er in einem Zuge, bis er am Schluß des Berichts angekommen war, und sogar dann hörte er noch nicht auf, sondern las Teile davon ein zweites Mal, weil er nicht glauben konnte, daß das stimmte, was da stand, und weil er hoffte, der Bericht würde beim zweiten Lesen anders enden. Doch das tat er nicht.
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TEIL SECHS 1984 - 85
6.1. Die fehlende Seite Diese Seite betrifft Silvano Vargius.
Wie bereits festgestellt, bezichtigte Sergio Muscas bei den wenigen Malen, als er die Anschuldigungen gegen Flavio Vargius zurückzog, dessen Bruder Silvano. Zum letzten Mal geschah dies im Jahre 1984, als Flavio sich in Haft befand und Sergio erneut zu seinem Komplizen bei dem Mord von 1968 vernommen wurde. Wie stets war der Gesinnungswandel, in dessen Folge er nun Silvano beschuldigte, nur von kurzer Dauer, und der Aktenvermerk – ein Blatt –, der darüber angefertigt wurde, wurde als nicht zur Sache gehörend aus der Hauptakte entfernt. Erst nachdem der Mord an den zwei jungen Männern aus Deutschland Flavios Unschuld zu bestätigen schien, erinnerten sich die Ermittlungsbeamten dieser Seite und nahmen sie noch einmal unter die Lupe. Der darauf befindliche Vermerk lautete wie folgt:
Ganz plötzlich und aus keinem erkennbaren Grund fing Muscas an, von Silvano Vargius zu reden: »Allerdings, von Silvano war ja nichts anderes zu erwarten. Bevor er von Sardinien wegging, brachte er seine Frau, um, und das Kind wurde auch damals schon verschont – nein, ich sage nichts gegen Silvano. Ich will gar nichts andeuten. Silvano Vargius besaß ein Auto.«
6.2. Sergios Wankelmütigkeit Auf den Tod der Frau von Silvano Vargius hatte Muscas schon im Jahre 1968 angespielt, als Muscas Vargius zum ersten Mal beschuldigte. Da er unmittelbar danach jedoch ein Geständnis abgelegt hatte, wurde die anscheinend nicht zur Sache gehörende Bemerkung zwar zu den Akten gelegt, jedoch als Erfindung abgetan. Seine das Auto betreffende Aussage bewies nichts, da Sergio Muscas inzwischen erfahren hatte, daß alle anderen von ihm Beschuldigten kein Auto besaßen.
In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß Sergio 1968 bei der Gegenüberstellung mit Silvano vor diesem auf die Knie fiel und schluchzend um Verzeihung bat. Als der Fall 1970 vor Gericht kam, war Silvano anwesend und trug den Verlobungsring der Ermordeten.
6.3. Gründe für die Wankelmütigkeit Die neuerliche Prüfung der Prozeßakten im Falle Sergio Muscas förderte ein beunruhigendes Detail zutage. Sergios Schwägerin Tina hatte im Zeugenstand erklärt, Belinda Muscas habe wiederholt geäußert, Nicolino sei nicht Sergios Sohn, sein Vater sei vielmehr einer der Vargius-Brüder. Tina gab an, sie wisse nicht, auf welchen der Brüder sich diese Äußerung bezogen habe, Sergio selbst habe ihr gegenüber den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung bestätigt. Bei dem genannten Bruder konnte es sich nur um Silvano Vargius handeln. Als Belinda Muscas Nicolino empfing, lebte Flavio Vargius noch in Sardinien. Silvano Vargius war jedoch gerade in der Toskana angekommen und lebte im Hause des Ehepaars Muscas. Dies rückte Sergio Muscas' wiederholte Aussage Er hat seine Frau umgebracht… und der kleine blieb auch damals schon verschont in ein völlig neues Licht. Unklar blieb jedoch, welches Motiv Silvano für den Mord an Belinda haben sollte und
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