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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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nicht alles. Ich hab es nur überflogen. Ich wußte ja schon, was in dem Bericht steht. Im Präsidium bekam ich zwangsläufig von den Kollegen mit, was sich bei den Ermittlungen tat. Sind Sie schon bis zu der fehlenden Seite gekommen?«
    Der Maresciallo sah Ferrini aus aufgerissenen Augen an.
    »Die zweite im letzten Teil.«
    »Wollen Sie damit sagen… daß in dem Bericht wirklich eine Seite fehlt? Ich kann mir nicht vorstellen…«
    »Nein, nein. Die zweite im letzten Teil. Sie trägt die Überschrift ›Die fehlende Seite‹. An der Stelle wird es wirklich interessant, Sie werden sehen. Na, dann« – er hob den Weinkrug hoch – »Bacci? Geben Sie mir doch mal Ihr Glas.«
    Er schenkte den Wein ein und schob das Glas zurück.
    »Spülen Sie das runter und nehmen Sie das Leben nicht so ernst. Das ist es nicht wert. Jedenfalls bin ich wirklich froh, wenn wir heute mit der Durchsuchung zu Ende kommen. Ich dachte eigentlich, daß sie nach den Ereignissen von neulich darauf verzichten, auch noch das Weinfaß von dem armen Mistkerl auszuleeren. Da hätte wohl sogar ich geweint. Also, was darf es sein? Kalbskotelett oder Omelette?«
    »Für mich eine Omelette, weil…«
    »Ihre Diät. Aber Sie wissen, wie schlecht Eier für die Leber sind, ja? In Ihrer Familie haben alle etwas mit der Leber, das haben Sie mir heute vormittag selbst gesagt. Also: dreimal Kalbskotelett und einen frischen grünen Salat. Signora? Wir sind soweit!«
    Es sah so aus, als kämen sie heute wirklich mit der Durchsuchung zu Ende. Der Maresciallo und Ferrini befanden sich in der Wohnung der Tochter. Das Fenster des winzigen Schlafzimmers ging auf die Piazza mit der kleinen Kirche hinaus. Die junge Frau war nicht da. Ihr Name stand noch an der Türklingel, doch anscheinend wohnte sie nicht mehr hier.
    »Wo ist sie denn, wissen wir das?« sagte der Maresciallo, als er in den fast leeren Schubladen ein paar wenige Kleidungsstücke hin und her schob.
    »Gute Frage«, erwiderte Ferrini mit breitem Lächeln. »Wir wissen es zwar, aber wir wissen es nicht. Sie wird vor den Journalisten ›geschützt‹.«
    »Mir geht da etwas durch den Kopf…«
    Der Maresciallo schob die obere Lade der Frisierkommode zu und trat vors Fenster. »Es kam mir komisch vor, und ich wollte es Ihnen gegenüber schon länger zur Sprache bringen.«
    »Ja? Was ist denn so komisch?«
    »Ich weiß auch nicht… Daß diese junge Frau sich auf einmal entschließt, Anzeige gegen ihren Vater zu erstatten, das klingt für mich nicht ganz überzeugend.«
    »Klingt für Sie denn überhaupt etwas an dem Fall überzeugend?«
    »Nein… eigentlich nicht. Es geht hier doch um etwas, das schon länger zurückliegt und… oberflächlich betrachtet leuchtet es mir schon ein, und trotzdem habe ich so etwas noch nie erlebt. Sie ist doch erwachsen und wohnt nicht mehr zu Hause. Können Sie sich vorstellen, daß sie eines Morgens aufwacht und sich sagt: ›Heut ist aber ein schöner Tag, ich glaube, ich zeige meinen Vater an, weil er mich, seit ich neun war, vergewaltigt hat.‹ Und jetzt, drei Jahre später, bringt sie zu dem Thema kaum zwei Wörter heraus. Sie ist tief beschämt, sie will nicht reden. Und sie hat Angst.«
    »Angst hat sie, das ist nicht zu übersehen.«
    »Ich finde das alles seltsam. Ich wollte es Ihnen gegenüber schon länger mal zur Sprache bringen, aber bei den vielen anderen Dingen… Und als ich gestern abend das über Flavio Vargius gelesen habe, ist es mir aufgefallen.«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Nichts. Doch als man ihn für das Ungeheuer hielt und er verschwand, brauchte man einen Haftbefehl, um ihn zu fassen und gegen ihn zu ermitteln.«
    »Und?«
    »Sie hatten gar keine richtigen Beweise, um einen Haftbefehl gegen ihn als das Ungeheuer zu erlassen. In dem Bericht des Richters stand sinngemäß: ›Seine Frau Valeria zeigte ihn wegen gewalttätiger Übergriffe an. Aus diesem Grunde wurde er verhaftet, und man konnte ihn im Gefängnis behalten. Dann geschah ein weiterer Mord…‹«
    Ferrini blieb mit der Matratze, die er gerade vom Bett zog, stehen und schaute den Maresciallo an. »Ich verstehe… richtig. Sie wollen darauf hinaus, daß man unseren Mann hier als Verdächtigen auserkoren hat. Er wurde verhaftet, und es gab vorläufig keinen weiteren Mord, aus welchem Grund auch immer, damit fühlen sie sich bestätigt.«
    »Nicht nur das. Sie haben ihn zu dem Ungeheuer gemacht. Sie haben doch die Leute im Dorf gehört, haben die Zeitungsartikel gelesen – und

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