Das Ungeheuer von Florenz
angegeben, ohne jedoch jemals dort gewohnt zu haben. In Wirklichkeit wohnte er im August 1968 an der Straße nach Pistoia im Haus Nr. 156 an dem als Via Torrente bekannten Teilstück. Das heißt, er wohnte in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hause Rossini, zu welchem Nicolino in der Mordnacht geführt worden war, und zwar in jenem Bauernhaus, das Sergio irrtümlich als das Haus Rossinis beschrieben hatte.
6.5. Silvano Vargius 1984/85 Nun wurden neue Ermittlungen in zweierlei Richtungen eingeleitet. In Florenz erstellten die Carabinieri einen detaillierten Bericht über Silvano Vargius' Lebensverhältnisse, seine medizinische Vorgeschichte, sein persönliches Umfeld und vor allem seine sexuellen Neigungen. In Sardinien nahmen Ermittlungsbeamte die Untersuchung der Umstände des Todes von Vargius' Frau im Jahre 1960, der seinerzeit als Selbstmord registriert worden war, wieder auf.
Silvanos zweite Frau hatte ihn im Jahre 1981 verlassen.
Sie wurde aufgesucht und ebenso wie Silvanos derzeitige Lebenspartnerin zu seinen sexuellen Neigungen befragt. Beide Frauen gaben an, zu Gruppensex gezwungen worden zu sein, den Silvano organisierte – er selbst habe sich dabei manchmal aktiv beteiligt und manchmal nicht. Seine Frau beschrieb auch von Silvano organisierte Zusammenkünfte von homo- und heterosexuellen Paaren ihrer Bekanntschaft und gab an, sie habe Silvano wegen seiner unannehmbaren sexuellen Praktiken verlassen. Dies wurde durch Dokumente im Zusammenhang mit ihrer Trennung bestätigt. Silvano beschuldigte seine Frau, die eheliche Gemeinschaft verlassen zu haben (§ 146 des Codice Civile entbindet den Ehemann von der Verpflichtung zur Unterhaltszahlung an seine getrennt lebende oder geschiedene Frau, wenn sie ihr Haus aufgibt und eine Rückkehr verweigert). Obwohl dies offensichtlich hier der Fall war, fiel das richterliche Urteil wegen der von Silvano ausgeübten Gewalt und seiner sexuellen Praktiken zugunsten der Frau aus. Seine Frau gab zudem an, daß Silvano sich 1981 in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden habe.
Im Lichte dieser Aussage werden die verschiedenen Angaben von Sergio Muscas im Zusammenhang mit Silvano Vargius verständlich. Mit den obengenannten Tatsachen konfrontiert, räumte Sergio ein, daß Silvano nicht nur zu Belinda, sondern auch zu ihm selbst eine sexuelle Beziehung unterhalten habe. Muscas gab an, Belinda habe zwar Gefallen an ihrer Beziehung zu Silvano und an allem, was damit verbunden war, gefunden, so wie sie an allen ihren Liebhabern Gefallen gefunden habe, er selbst jedoch sei Silvano völlig hörig gewesen. Auf Silvanos Verlangen habe er, Sergio, für seine Frau Belinda andere Männer mit nach Hause gebracht, um Silvanos Verlangen nach Gruppensex und voyeuristischen Vergnügungen zu befriedigen. Seine Bemerkung, Flavio habe seine Frau »vor meinen Augen gevögelt«, sei daher wörtlich gemeint gewesen und habe eigentlich eher Silvano denn Flavio gegolten. Sergio schilderte nun, daß Silvano im Cascine-Park Gruppensex für Belinda und andere Männer organisiert habe und daß er bei diesen Gelegenheiten Sergio und das Kind Nicolino zum Zuschauen mitgenommen habe.
Zweierlei war nun klar. Erstens: Sergio Muscas war Silvano Vargius so hörig, daß er nicht den Mut aufbrachte, ihn von Angesicht zu Angesicht zu beschuldigen, und sei es, um sich selbst zu retten – er war ja auch vor ihm auf die Knie gefallen und hatte ihn weinend um Verzeihung gebeten. Zweitens: Einer der wesentlichen Gründe für seine Wankelmütigkeit in bezug auf Silvano war seine Scham. Homosexualität war für ihn etwas so Schmachvolles und Verabscheuungswürdiges, daß er nicht darüber reden wollte. Bemerkenswert ist auch, daß Sergio, der zu schwach war, seiner Frau Einhalt zu gebieten, nach dem Mord die Körper der Opfer voneinander gelöst hatte, damit sie nicht in der für die Ausübung von Geschlechtsverkehr üblichen Position entdeckt wurden.
Leider hatten Sergios Unterwürfigkeit gegenüber Silvano und seine übermächtigen Schamgefühle zur Folge, daß er noch immer keine klare, unzweideutige Aussage zu den Tatumständen des Mordes von 1968 machte, die für die Untersuchung der späteren Verbrechen von Nutzen gewesen wären.
6.6. Das Jahr 1960 Im Jahre 1960 lebte Silvano noch in seinem Heimatdorf in Sardinien. Er war verheiratet und hatte einen ein Jahr alten Sohn, Amelio. Als seine Frau tot in einem Zimmer aufgefunden wurde, ein aufgedrehter Gaskanister neben der Leiche, wurde Suizid als
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