Das Ungeheuer
aus als das andere. Sie bemerkte eine Vielzahl von Skalen, Kathodenstrahlröhren, Computern, Glasröhren und Labyrinthe von elektrischen Verbindungsdrähten.
Mehrere Türen führten in Nebenräume. Victor schob Marsha in einen L-förmigen Raum voller Seziertische. Marsha warf einen Blick auf Skalpelle und andere Schauerinstrumente, und es schauderte sie. Durch eine drahtgitterverstärkte Glastür sah man in die Tierkammer, und Marsha konnte Hunde und Affen erkennen, die sich hinter ihren Käfiggittern hin und her bewegten. Sie schaute weg. Dies war ein Teil der Forschung, an den sie lieber nicht dachte.
»Hier entlang!« Victor führte sie in den hintersten Teil des L-förmigen Raums, wo die Wand aus klarem Glas bestand.
Er drückte auf einen Schalter, und hinter der Glasscheibe strahlte Licht auf. Überrascht erblickte Marsha eine Reihe großer Aquarien, und jedes enthielt Dutzende seltsam aussehender Meereslebewesen; sie glichen Schnecken ohne Häuser. Victor zog eine Trittleiter heran. Nachdem er eine Anzahl Aquarien abgesucht hatte, nahm er eine Sezierschale vom Tisch und stieg auf die Leiter. Mit einem Netz fing er zwei Tiere aus zwei verschiedenen Aquarien.
»Ist das nötig?« fragte Marsha; sie wußte nicht, was diese scheußlichen Kreaturen mit VJs Gesundheit zu tun haben sollten.
Victor antwortete nicht. Er stieg, die Schale balancierend, von der Leiter herunter. Marsha warf einen langen Blick auf die Tiere. Sie maßen etwa fünfundzwanzig Zentimeter und waren von bräunlicher Färbung, mit schleimiger, gallertiger Haut. Sie würgte aufsteigenden Ekel hinunter. Sie haßte solche Sachen. Das war einer der Gründe, weshalb sie sich für die Psychiatrie entschieden hatte: Die Therapie war sauber, ordentlich und sehr menschlich.
»Victor!« sagte sie, als sie sah, wie er die Tiere auf den Wachsboden der Sezierschale spießte und ihre Flossen -oder was es sonst sein mochte - auseinanderspreizte. »Warum kannst du's mir nicht einfach erzählen?«
»Weil du mir nicht glauben würdest«, antwortete Victor. »Hab noch ein paar Augenblicke Geduld!« Er nahm ein Skalpell zur Hand und steckte eine neue, rasiermesserscharfe Klinge hinein. Marsha wandte sich rasch ab, als er die beiden Tiere aufschlitzte.
»Das hier sind Aplasia«, sagte Victor und bemühte sich, seine eigene Nervosität mit einer streng wissenschaftlichen Haltung zu kaschieren. »Man verwendet sie weithin für die Nervenzellenforschung.« Er griff nach einer Schere und begann flink und zielstrebig zu schnippeln.
»So«, sagte er. »Ich habe jedem der beiden Aplasia das Abdominalganglion entnommen.«
Marsha schaute hin. Victor hielt eine kleine, flache Schale mit einer klaren Flüssigkeit in der Hand. An der Oberfläche der Flüssigkeit schwammen zwei winzige Gewebestückchen.
»Nun komm herüber zum Mikroskop!« sagte Victor.
»Was geschieht denn jetzt mit diesen armen Tieren?« fragte Marsha und zwang sich, einen Blick in die Sezierschale zu werfen. Es sah aus, als zerrten die Tiere an den Nadeln, die sie am Boden der Schale festhielten.
»Die Techniker machen morgen früh sauber«, antwortete Victor, der nicht begriff, was sie meinte. Er schaltete die Lampe am Mikroskop ein.
Nach einem letzten Blick auf die Aplasia ging Marsha hinüber zu Victor, der bereits geschäftig in das Stereomikroskop spähte und am Schärferegler drehte.
Sie beugte sich über das andere Okular und schaute hinein. Die Ganglien hatten die Form eines H; die geschwollene Querverbindung sah aus wie ein transparenter Beutel voll durchscheinender Murmeln. Die Arme des H waren zweifellos durchtrennte Nervenfasern. Victor bewegte einen Zeiger und forderte Marsha auf, die Nervenzellen oder Neuronen zu zählen, während er auf sie deutete.
Marsha gehorchte.
»Okay«, sagte Victor. »Schauen wir uns das andere Ganglion an!«
Das Sichtfeld im Okular verwischte sich und erstarrte dann wieder. Man sah ein zweites H, dem ersten ganz ähnlich. »Zähl noch einmal!« forderte Victor sie auf.
»Das hier hat mehr als zweimal so viele Neuronen wie das andere.«
»Genau!« Victor richtete sich auf und begann hin und her zu gehen. Auf seinem Gesicht war ein merkwürdiger, aufgeregter Glanz erschienen, und Marsha verspürte aufkeimende Angst. »Vor ungefähr zwölf Jahren fing ich an, mich sehr für die Anzahl der Nervenzellen bei normalen Aplasia zu interessieren. Damals wußte ich wie jeder andere, daß die Nervenzellen sich im Frühstadium der Embryonalentwicklung zu
Weitere Kostenlose Bücher