Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Ungeheuer

Titel: Das Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
Vom Netzwerk:
weiß...«, sagte Victor schuldbewußt. Sie wartete, daß er weitersprach, aber Victor schwieg.
    »Ein Drohanruf ist eine Sache«, fuhr sie schließlich fort. »Aber ein Ziegelstein, der durch das Kinderzimmerfenster fliegt, ist eine andere. Ich habe dir gesagt, daß ich keine weiteren Überraschungen vertragen kann. Du solltest mir von den Büroproblemen erzählen, die du da erwähnt hast!«
    »Ja. Aber vorher will ich einen Drink besorgen. Ich glaube, ich kann einen brauchen.«
    VJ hatte im Wohnzimmer die Johnny-Carson-Show eingeschaltet; er hatte den Ellbogen aufgestützt und starrte in den Fernseher. Seine Augen blickten glasig.
    »Ist alles in Ordnung?« rief Marsha ihm von der Küchentür her zu.
    »Ja.« VJ wandte nicht den Kopf.
    »Ich denke, wir sollten ihm Gelegenheit geben, sich zu entspannen«, meinte Marsha, zu Victor gewandt, der damit beschäftigt war, ihnen einen Grog zusammenzumixen.
    Mit den Bechern in der Hand setzten sie sich an den Küchentisch. In Kurzform umriß Victor die Kontroverse mit Ronald, die Unterredung mit Gephardts Anwalt, Sharon Carvers Drohungen und die unglückselige Angelegenheit mit Hurst. »Da hast du's«, schloß er. »Eine ganz normale Woche im Büro.«
    Marsha dachte über die vier Unruhestifter nach. Ronald kam nicht in Frage, aber von den drei anderen konnte es jeder gewesen sein.
    »Was soll diese Botschaft?« fragte sie. »Von welcher Abmachung ist da die Rede?«
    Victor trank einen Schluck, stellte den Becher auf den Tisch und griff nach dem Zettel. Er studierte ihn einen Augenblick lang und sagte dann: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich habe mit niemandem irgendwelche Abmachungen getroffen.« Er warf das Papier auf den Tisch.
    »Aber jemand ist offenbar anderer Ansicht«, stellte Marsha fest.
    »Hör mal, jeder, der imstande ist, uns einen Stein ins Fenster zu werfen, ist auch imstande, sich irgendeine mysteriöse Abmachung zusammenzuspinnen. Aber ich werde jeden von denen ansprechen und ihnen deutlich zu verstehen geben, daß wir nicht die Absicht haben, tatenlos herumzusitzen und uns von ihnen Steine in die Fenster werfen zu lassen.«
    »Was hältst du von einer Sicherheitsfirma?« fragte Marsha.
    »Wäre eine Idee«, meinte Victor. »Aber laß mich morgen erst mal meine Gespräche führen! Ich habe so das Gefühl, daß unser Problem damit gelöst ist.«
    Wieder läutete es an der Haustür.
    »Ich mach' schon auf«, sagte Victor.
    Marsha erhob sich und ging ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief noch, aber statt Johnny Carson war jetzt David Letterman am Zuge. Es war spät geworden. VJ schlief fest. Marsha schaltete den Fernsehapparat ab und betrachtete ihren Sohn. Er sah so friedlich aus. Von der intensiven Feindseligkeit, die er eben noch zur Schau getragen hatte, war keine Spur mehr. O Gott, dachte sie: Was hatte Victors Experiment nur aus ihrem geliebten Baby gemacht?
    Die Haustür fiel ins Schloß, und Victor kam zurück. »Die Polizei hat nichts gefunden. Sie haben gesagt, sie werden das Haus in der kommenden Woche nach besten Kräften im Auge behalten.« Sein Blick fiel auf VJ. »Wie ich sehe, hat er sich erholt.«
    »Ich wünschte es«, sagte Marsha wehmütig.
    »Ach, jetzt hör auf! Ich möchte keinen Vortrag über seine Feindseligkeit und all den Blödsinn hören.«
    »Vielleicht hat es ihn wirklich aus der Fassung gebracht, als sein IQ nachließ«, sagte sie und hing ihren eigenen Gedanken nach. »Kannst du dir vorstellen, wie es sein Selbstwertgefühl beeinträchtigt haben muß, als seine besonderen Fähigkeiten sich in Luft auflösten?«
    »Das Kind war erst dreieinhalb Jahre alt«, erwiderte Victor in flehentlichem Ton.
    »Ich weiß, daß du nicht meiner Meinung bist«, erwiderte Marsha und warf noch einen Blick auf den schlafenden Jungen. »Aber ich habe schreckliche Angst. Ich bin sicher, dein genetisches Experiment hat Folgen für seine Zukunft.«
    Am nächsten Morgen waren die Temperaturen um neun Uhr schon auf fast fünfzehn Grad gestiegen. Die Sonne schien, und Victor hatte im Auto beide Vorderfenster heruntergedreht und das Sonnendach geöffnet. Die Luft duftete erdig, ein Geruch, der den kommenden Frühling ankündigte. Victor trat aufs Gaspedal und ließ den Wagen auf den kurzen geraden Strecken zügig rollen.
    Er warf einen Blick zu VJ hinüber, der sich von dem Abend zuvor restlos erholt zu haben schien. Er hatte den Arm zum Fenster hinausgestreckt, und seine offene Hand spielte mit dem Wind. Es war eine einfache Gebärde, ganz normal.

Weitere Kostenlose Bücher