Das Ungeheuer
als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme«, antwortete Victor, und um das Thema zu wechseln, fügte er hinzu: »Was gibt's zum Abendessen?«
»Lammkotteletts - und die müssen wir strecken.« Marsha warf Victor einen Blick aus dem Augenwinkel zu. »Wieso habe ich das Gefühl, daß du mir immer noch etwas verheimlichst?«
»Muß an deiner mißtrauischen Natur liegen«, sagte Victor, obwohl er wußte, daß sie zu Scherzen nicht aufgelegt war. »Was gibt's zu den Koteletts?«
»Artischocken, Reis und Salat.« Es war offensichtlich, daß er ihr etwas verheimlichte, aber sie ließ es einstweilen dabei bewenden.
»Was kann ich tun?« fragte Victor und wusch sich die Hände am Spülbecken. Es war bei ihnen üblich, die Vorbereitungen zum Abendessen gemeinsam zu erledigen, weil sie beide lange arbeiteten. Marsha ließ ihn den Salat waschen.
»Ich habe heute morgen mit VJ über seinen Freund Richie gesprochen«, erzählte Victor. »Er will ihn fragen, ob sie diese Woche nicht mal einen Tagesausflug nach Boston machen können. Ich denke also, es ist nicht angemessen zu sagen, VJ habe keine Freunde.«
»Hoffentlich kommt es auch dazu«, sagte Marsha unverbindlich.
Während sie den Reis und die Artischocken aufsetzte, beobachtete sie Victor ständig aus den Augenwinkeln. Sie hoffte darauf, daß er ihr weitere Informationen über die beiden unglücklichen Babys geben würde, aber er hantierte nur umständlich mit dem Salat. Entnervt fragte sie schließlich: »Gibt es etwas Neues über die Todesursache bei den beiden kleinen Kindern?«
Victor sah sie an. »Ich habe mir das eingepflanzte Gen bei VJ und bei den beiden Kindern angesehen. Bei den Kindern war es offenkundig abnormal und anscheinend in aktiver Transkription begriffen, während es bei VJ absolut inaktiv war. Außerdem«, fuhr er fort, »habe ich ein paar Fotos des Gens aus der Zeit, als VJs Intelligenz abstürzte, herausgesucht. Auch damals sah es in keiner Hinsicht so aus wie bei diesen beiden Kindern. Was immer mit VJ los war, es war also nicht das gleiche Problem.«
Marsha seufzte erleichtert. »Das ist eine gute Neuigkeit. Warum hast du es mir nicht sofort erzählt?«
»Ich bin gerade erst nach Hause gekommen«, sagte Victor. »Und ich erzähle es dir ja.«
»Du hättest anrufen können«, meinte Marsha; sie war überzeugt, daß er ihr immer noch etwas verheimlichte. »Oder davon anfangen, ohne daß ich erst fragen muß.«
»Ich lasse jetzt die Gensequenz bei den toten Kindern analysieren«, berichtete Victor und holte Öl und Essig. »Dann kann ich dir vielleicht sagen, was dieses Gen eingeschaltet hat.«
Marsha ging zum Schrank und nahm das Geschirr heraus, um den Tisch zu decken. Sie bemühte sich, die Wut im Zaun zu halten, die von neuem in ihr zu kochen begann. Wie konnte er bei alldem so gelassen bleiben? Als er jetzt fragte, ob er noch irgend etwas für das Abendessen tun könne, antwortete sie, er habe schon genug getan. Er nahm es wörtlich, setzte sich auf einen der Hocker vor der Küchentheke und sah ihr beim Tischdecken zu.
»Daß VJ dich beim Wettschwimmen hat gewinnen lassen, war keine Zufallslaune«, sagte sie in der Hoffnung, ihren Mann aus der Reserve zu locken. »Damit hat er schon als Dreijähriger angefangen.« Und sie berichtete, was Martha Gillespie ihr über VJs Benehmen in der Vorschule erzählt hatte.
»Woher weißt du so genau, daß er das Wettschwimmen absichtlich verloren hat?« fragte Victor.
»Meine Güte, das stört dich immer noch?« Marsha drehte die Kochplatte unter dem Reistopf klein. »Ich war ziemlich sicher, als ich euch am Sonntag abend zuschaute. Jetzt, nachdem ich mit Martha gesprochen habe, bin ich hundertprozentig sicher. Es ist, als ob VJ keine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte.«
»Manchmal erregt es mehr Aufmerksamkeit, wenn man absichtlich verliert«, behauptete Victor.
»Kann sein.« Marsha war nicht überzeugt. »Der springende Punkt ist: Ich wünschte bei Gott, ich wüßte mehr über das, was in seinem Kopf vorging, als seine Intelligenz sich so dramatisch veränderte. Es könnte sein jetziges Benehmen halbwegs erklären. Damals waren wir zu sehr besorgt um seine Gesundheit, als daß wir uns um seine Gefühle hätten kümmern können.«
»Ich finde, er hat die Sache extrem gut überstanden«, meinte Victor. Er ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Weißwein heraus. »Ich weiß, du bist nicht meiner Meinung, aber er macht sich großartig. Er ist ein glückliches Kind. Ich bin stolz auf ihn. Ich
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