Das Ungeheuer
streckte ihr seine schwielige Hand entgegen. Sein borstiges Haar war militärisch kurz geschnitten. Sein Gesicht wurde beherrscht von einer großen, aufgequollenen Nase, die von feinen roten Äderchen überzogen war.
»Kann ich Ihnen irgendwas anbieten? Ein Bier vielleicht?« fragte er.
»Nein danke!« sagte Marsha.
Harry Fay ließ sich in einen durchgesessenen Sessel sinken. »Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuchs?« fragte er. Er rülpste. »'Tschuldigung, Ma'am!«
»Ich wollte mit Ihnen über Janice sprechen«, erklärte Marsha.
»Ich hoffe, sie hat Ihnen keine Lügen über mich erzählt«, sagte Fay. »Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet, als LKW-Fahrer. Ich habe dieses Land so viele Male durchquert, von Osten nach Westen und von Norden nach Süden, daß ich es gar nicht mehr zählen kann.«
»Ich bin sicher, daß das eine sehr harte Arbeit war«, erwiderte Marsha und fragte sich, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, hierherzukommen.
»Darauf können Sie einen lassen«, sagte Fay.
»Was mich interessieren würde«, begann Marsha, »ist, ob Janice mit Ihnen jemals über meine Jungen, David und VJ, gesprochen hat.«
»Sehr oft. Stimmt's, Mary?«
Mrs. Fay nickte, sagte aber nichts.
»Hat sie je irgendeine Bemerkung fallenlassen, daß irgendwas an ihnen vielleicht ungewöhnlich sei?« Es gab konkretere Fragen, die sie hätte stellen können, aber sie zog es vor, das Gespräch nicht sofort in eine bestimmte Richtung zu lenken.
»Und ob sie das hat!« antwortete Fay. »Schon bevor sie ihren religiösen Tick kriegte, erzählte sie uns, daß VJ seinen Bruder getötet hätte. Sie hat uns sogar gesagt, daß sie versucht hätte, Sie zu warnen, aber Sie hätten nicht auf sie hören wollen.«
»Janice hat niemals versucht, mich zu warnen«, entgegnete Marsha; sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. »Und ich sollte Ihnen vielleicht sagen, daß mein Sohn David an Krebs gestorben ist.«
»Also, da hat uns Janice aber wirklich was ganz anderes erzählt«, erwiderte Fay. »Sie hat uns gesagt, der Junge wäre vergiftet worden. Unter Drogen gesetzt und vergiftet.«
»Das ist völlig absurd«, erklärte Marsha.
»Was, zum Henker, bedeutet das denn nun wieder?« fragte Fay.
Marsha atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Ihr wurde bewußt, daß sie versuchte, sich und ihre Familie gegenüber diesem ekelhaften Kerl zu verteidigen. Das war nicht der Grund, weshalb sie hier war. »Ich will damit sagen, daß es völlig außerhalb jeder Möglichkeit liegt, daß mein Sohn vergiftet wurde. Er starb an Krebs, genau wie Ihre Tochter.«
»Wir können nur das wiedergeben, was man uns gesagt hat. Stimmt's, Mary?«
Mrs. Fay nickte pflichtschuldig.
»Tatsächlich«, fuhr Fay fort, »hat Janice uns sogar erzählt, daß sie auch einmal unter Drogen gesetzt worden wäre. Sie hat uns gesagt, sie hätte das bloß deshalb keinem erzählt, weil ihr sowieso keiner geglaubt hätte. Sie hat uns gesagt, daß sie von da an immer genau darauf geachtet hätte, was sie gegessen hätte.«
Marsha schwieg einen Moment lang. Sie erinnerte sich gut an die Veränderung, die mit Janice vorgegangen war. Quasi von heute auf morgen war sie plötzlich extrem pingelig geworden, was ihre Nahrung betraf. Marsha hatte sich immer gefragt, was diese Veränderung wohl verursacht haben mochte. Offenbar war es diese Wahnvorstellung gewesen, irgend jemand wolle sie vergiften.
»Ehrlich gesagt, wir haben nicht allzuviel von dem geglaubt, was Janice uns so erzählte«, gab Fay zu. »Da sind irgendwelche Drähte in ihrem Kopf durchgeschmort, als sie diesen religiösen Tick kriegte. Sie steigerte sich sogar so weit in diese Spinnereien rein, daß sie behauptete, Ihr Sohn, VJ oder wie er heißt, wäre das Böse. So als ob er irgendwas mit dem Teufel zu tun hätte oder so.«
»Ich kann Ihnen versichern, daß das nicht der Fall ist«, erklärte Marsha und erhob sich. Sie hatte genug.
»Ist schon seltsam, daß Ihr Sohn David und unsere Tochter Janice an dem gleichen Krebs gestorben sind«, sagte Fay. Auch er erhob sich; sein Gesicht lief rot an von der Anstrengung.
»Es war ein merkwürdiger Zufall«, pflichtete Marsha ihm bei. »Sicher, die Tatsache, daß beide die gleiche Krebsart hatten, hat uns damals schon einigermaßen beunruhigt. Wir hatten Angst, daß es vielleicht irgendwas mit Umwelteinflüssen zu tun haben könnte. Unser Haus wurde eingehend untersucht. Ich kann Ihnen versichern, daß sie es beide hatten, war nicht mehr als
Weitere Kostenlose Bücher