Das Ungeheuer
Bis er dem Tod der beiden Kinder auf den Grund gekommen wäre, würde ihm unendlich viel wohler sein, wenn er wüßte, daß VJ beschützt wurde.
Als Victor sich Kaffee einschenkte, kam ihm noch eine Erkenntnis. Im Hinterkopf hatte ihm die Ähnlichkeit zwischen Davids und Janices Krebserkrankung keine Ruhe gelassen - vor allem im Licht des DNS-Abdrucks von Davids Tumor. Victor nahm sich vor, die Sache zu untersuchen, so gut er konnte.
10
Samstag morgen
Es war noch immer windig und regnerisch, als Victor hinaus zur Garage ging und in seinen Wagen stieg. Er hatte gefrühstückt, geduscht, sich rasiert und angezogen, und noch immer hatte sich keiner im Haus geregt. Er hatte einen Zettel mit der Nachricht hinterlassen, daß er den größten Teil des Tages im Labor verbringen würde, und war losgefahren.
Aber er begab sich nicht sofort zum Labor, sondern fuhr Richtung Westen, ging auf die Interstate 93 und fuhr in südlicher Richtung nach Boston. In Boston angekommen, verließ er den Storrow Drive an der Ausfahrt Charles Street/ Government Center. Von dort aus fuhr er weiter zum Massachusetts General Hospital und stellte den Wagen im Parkhaus ab. Zehn Minuten später war er in der Pathologie.
Da es früher Samstagmorgen war, war keiner der Stationspathologen anwesend. Victor mußte sich mit einer Assistenzärztin namens Angela Cirone begnügen.
Victor erklärte ihr, daß er den Wunsch habe, eine Tumorprobe von einem Patienten zu bekommen, der vier Jahre zuvor verstorben sei.
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein«, sagte Angela. »Wir bewahren normalerweise - «
Victor unterbrach sie höflich und erzählte ihr, daß es sich um einen ganz besonderen, äußerst selten vorkommenden Tumor handelte.
»Das könnte die Sache natürlich ändern«, sagte sie.
Das schwierigste Problem war, Janice Fays Krankenbericht zu finden, da Victor Janices Geburtsdatum nicht kannte. Aber ihre Beharrlichkeit zahlte sich schließlich aus, und Angela fand sowohl die Nummer des Krankenhausprotokolls als auch den Pathologiebericht. Außerdem konnte sie Victor mitteilen, daß eine Gewebeprobe existierte.
»Aber ich darf sie Ihnen nicht aushändigen«, sagte Angela nach all dem Aufwand, den es sie gekostet hatte, sie zu finden. »Einer von den Stationsärzten ist heute morgen oben und arbeitet im Kühlhaus. Wenn er fertig ist, können wir ihn fragen, ob er seine Erlaubnis dazu gibt.«
Doch Victor erzählte ihr, daß sein Sohn an derselben seltenen Krebsart gestorben sei und daß er deshalb ein großes Interesse daran habe, Janices Krebszellen zu untersuchen. Wenn er sich Mühe gab, konnte er auf eine gewinnende Art charmant sein. Innerhalb von wenigen Minuten hatte er die junge Assistenzärztin soweit, daß sie sich bereit erklärte, ihm zu helfen.
»Wieviel brauchen Sie?« wollte sie wissen.
»Bloß ein winziges Stückchen.«
»Ich denke, das wird niemandem schaden«, sagte Angela.
Eine Viertelstunde später befand sich Victor bereits im Aufzug auf dem Weg nach unten, in der Hand eine Papiertüte mit einem weiteren kleinen Röhrchen. Er wußte, er hätte auf den Stationsarzt warten können, aber so konnte er sich rascher an die Arbeit machen. Er stieg in seinen Wagen, verließ das Gelände des Massachusetts General Hospitals und fuhr nach Lawrence.
Bei Chimera angekommen, rief Victor sofort die Sicherheitsfirma Able Protection an. Aber es meldete sich ein Anrufbeantworter - schließlich war es Samstag -, und er mußte sich damit begnügen, seinen Namen und seine Nummer zu hinterlassen. Nachdem er dies getan hatte, suchte er Robert auf, der bereits konzentriert an dem Projekt arbeitete, das Victor am Abend zuvor in Angriff genommen hatte: die Trennung des Anteils von Davids Tumor-DNA, die sich von seinem normalen DNA unterschied.
»Sie werden mich verfluchen«, sagte Victor, »aber ich habe hier noch eine Gewebeprobe.« Er holte die Probe hervor, die er soeben aus dem Mass. General mitgenommen hatte. »Ich möchte, daß Sie hiervon auch ein DNS-Abdruck machen.«
»Wegen mir brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen«, sagte Robert. »Ich tue so was gern. Sie müssen sich bloß darüber im klaren sein, daß ich meine normale Arbeit natürlich liegenlasse.«
»Schon klar«, sagte Victor. »Im Moment hat dieses Projekt Vorrang.«
Victor nahm die Hirngewebeproben von den Ratten, die er am Abend zuvor präpariert hatte, legte sie auf Objektträger und färbte sie ein. Während er darauf wartete, daß sie trockneten, kam ein
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