Das unheimliche Haus
in diesen Tagen darüber nachgegrübelt, was er wohl anfangen würde, wenn es ihm tatsächlich gelingen sollte, in dieses Zimmer einzudringen.
Hier irgendwo hatte Ulli Buchholz den Film und die Fotos aufbewahrt. Um alles in der Welt, wo sonst, wenn nicht hier? Und er mußte das Zeug bei sich zu Hause nicht einmal besonders raffiniert verstecken, hatte sich Karlchen Kubatz überlegt. Er konnte es sich also sparen, unter das Buchholzsche Bett zu kriechen oder auf einen Stuhl zu klettern, um mit seinen Händen den Schrank abzutasten. Auch mußte er nicht hinter die Vorhänge gucken oder unter den Teppich.
Ganz bestimmt war die Geschichte verhältnismäßig einfach, und Ulli Buchholz hatte das Zeug nicht viel anders verstaut als beispielsweise seine Zigarettenschachteln oder seine Schwimmbrille.
Eigentlich kam nur der Schreibtisch in Frage.
Karlchen hob den Tennisschläger auf, durchsuchte seine Plastikhülle, kramte unter den herumliegenden Büchern, durchwühlte die aufgestapelten Zeitschriften, schob Schallplatten zur Seite und spähte unter die kleine Schreibmaschine. Anschließend machte er sich an die Schubladen.
In ihnen war die gleiche Unordnung wie im ganzen Zimmer.
In der einen lag nur Werkzeug durcheinander: Zangen, Schraubenschlüssel, alle Arten von Klebebändern und Büchsen mit Fahrradöl.
Die nächste ließ sich schwer öffnen. Sie war fast bis zum Rand gefüllt mit allerlei Steinen, Muscheln und getrockneten Seesternen. Vermutlich Ferienerinnerungen.
Und dann passierte es.
Kaum hatte Karlchen die dritte Schublade aufgezogen, sprang ihm schon die zitronengelbe Farbe einer Papiertüte ins Auge. Er war wie elektrisiert. Diese Art von Tüten kannte er. Fast jedes Fotogeschäft benutzte sie.
»Wow«, keuchte der Bürstenhaarschnitt und wäre jetzt am liebsten wie ein Derwisch durchs Zimmer getanzt. Statt dessen zwang er sich zur Ruhe, kontrollierte zuerst die Vergrößerungen und hielt anschließend den Film gegen die Deckenbeleuchtung. Er ließ Bild für Bild durch seine Finger gleiten. Kein Zweifel, das waren die Aufnahmen, die er von Studienrat Dr. Purzer und den anderen geschossen hatte. Das erkannte er auch im Negativ. Er hechtete zur Tür, versteckte die zitronengelbe Tüte blitzschnell in seiner Schulmappe und knipste das Licht wieder aus.
Die Schublade, die den kostbaren Fund bisher gehütet hatte, ließ er mit voller Absicht offenstehen.
Draußen im Garten lagen Fritz Treutlein und die flachsblonde Schwester von Ulli Buchholz vor einem weißen Kaninchen im Gras auf dem Bauch.
»Ich versuche ihr gerade klarzumachen, daß sich Wale und Haifische auf dem Meeresgrund chinesisch unterhalten«, rief Fritz Treutlein, als Karlchen Kubatz auf sie zukam. »Aber sie will mir kein Wort glauben.« Dabei hatte sich der Friseurlehrling mit großen, fragenden Augen aufgerichtet.
Der Bürstenhaarschnitt strahlte über das ganze Gesicht und zwinkerte mit dem linken Auge.
»Haifische und Wale können überhaupt nicht reden«, quäkte die kleine Monika.
Karlchen Kubatz wollte jetzt keine Sekunde mehr verlieren. »Schönen Gruß an deinen Bruder«, sagte er. »Wir müssen dich jetzt leider wieder allein lassen.« Er fuhr dem Mädchen über den flachsblonden Pferdeschwanz und trabte los. Fritz Treutlein sprintete ihm nach.
Die Kleine mit dem Gipsbein folgte ihnen bis zu dem niedrigen Gartenzaun. »Müßt ihr wirlich schon weg?« fragte sie weinerlich. »Das ist schade, die anderen Freunde von Ulli, die spielen nie mit mir.«
»Das sind ja auch Maxen«, sagte Karlchen Kubatz, »und die sind nicht zu retten.«
Monika verstand natürlich kein Wort, aber sie kicherte jetzt und hielt sich dabei wieder ihre Hände vor den Mund.
»Das darf doch, um alles in der Welt, nicht wahr sein«, keuchte Fritz Treutlein, als er eine knappe Minute später neben Karlchen Kubatz in die Herderstraße hineinradelte. »Vielleicht hätt’ ich noch für möglich gehalten, daß es in der Hölle schneit, aber das...« Er schüttelte den Kopf.
Als sie dann gleich darauf über die Landstraße fegten, grinste der Friseurlehrling auf einmal und schielte zur Seite. »Das Leben ist doch schön, nicht, Karlchen?«
»Toll«, nickte der Bürstenhaarschnitt. »Eine wirklich ganz tolle Einrichtung.«
Kurz danach lagen sie schräg in der Kurve und bogen in die Sackgasse zu den Lagerhallen ein. Sie standen jetzt regelrecht in den Pedalen. Die Maxen drehten die Köpfe herum, als sie links und rechts an ihnen vorbeifuhren, um dann gleich
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