Das unheimliche Haus
der Wand entlang über den Rasen zu einem kleinen Garten, der hinter dem Haus lag.
»Wie heißt du denn?« fragte Karlchen.
»Monika«, piepste der flachsblonde Pferdeschwanz.
»Bist du dir darüber im klaren, Monika, daß du sehr hübsch bist?« bemerkte Fritz Treutlein. Er blickte zur Seite. »Stimmt es etwa nicht?«
»Doch, das ist sie«, beteuerte der Bürstenhaarschnitt.
»Besonders mit meinem Drahtzaun im Mund«, entgegnete die Kleine. Sie zog die Lippen zurück und zeigte ihre verbarrikadierten Zähne.
»Bah, diese Spange kann man sich doch wegdenken«, versicherte Fritz Treutlein. »In ein paar Wochen gibst du ihr einen Fußtritt, und alles ist vergessen. Nein, du siehst wirklich ganz prima aus, das mußt du mir glauben.« Er hatte seine Komplimente aus dem Armei geschüttelt wie nichts. Aber Süßholzraspeln gehörte ja zu seinem Beruf und war manchmal wichtiger als Haareschneiden oder Dauerwellenlegen.
Die flachsblonde Monika war ein lustiges kleines Mädchen, und schon nach ein paar Minuten spielte sie mit den beiden Besuchern wie mit alten Freunden. Sie hüpfte auf ihrem gesunden Bein hinter einem Ball her und zeigte stolz, wie blendend sie auf den Händen Spazierengehen konnte.
»Wir dürfen keine Zeit mehr verplempern«, flüsterte Karlchen Kubatz zwischendurch.
Vom Garten ging es unter einer Jalousie hindurch direkt in den Wohnraum. Eine breite Schiebetür aus Glas stand weit offen.
»Wunderschön habt ihr’s hier«, bemerkte der Bürstenhaarschnitt, guckte sich um und schlenderte mit seiner Schulmappe ins Haus hinein. Eine blitzblanke Holztreppe führte in das obere Stockwerk. »Und wo macht dein Bruder seine Schulaufgaben? Hat er eine eigene Bude?« Er blickte fragend nach oben.
»Kalt, ganz kalt«, kicherte Monika und hielt sich dabei beide Hände vor den Mund. Seitdem sie ihre Zahnspange trug, hatte sie sich das wohl angewöhnt. »Im ersten Stock sind doch unsere Schlafzimmer, du Doofmann.«
»Dann laß mich mal weiterraten«, meinte Karlchen Kubatz und ging auf die Tür neben der Treppe zu.
»Wieder eiskalt«, lachte der flachsblonde Pferdeschwanz. »Das ist die Küche.«
Auf der anderen Seite gab es noch zwei weitere Türen.
Der Bürstenhaarschnitt stiefelte auf die eine zu.
»Kalt«, entschied die Kleine.
Aber als Karlchen jetzt eine elegante Kurve in die Richtung zur anderen Tür machte, klopfte sie mit ihrem Gipsbein auf den Teppich. »Lauwarm — warm — heiß — ganz heiß — «
Karlchen drückte mutig die Klinke herunter.
»Kochend heiß«, rief die kleine Monika. »Diesmal hast du gewonnen.«
Das kleine Zimmer lag fast im Dunkeln, weil der Rolladen vor dem Fenster heruntergelassen war. Seitlich stand ein schmaler Schreibtisch, auf dem ein paar Bücher herumlagen, aufgeschlagene Hefte, Zeitschriften und ein Tennisschläger neben einer offenen Ledermappe. Gleich bei der Tür gab es ein Bett und gegenüber an der Wand einen Schrank mit eingebauten Regalen, über dem Bett und auf dem Boden lagen Hemden, eine Hose und Turnschuhe. Der tragbare Fernseher war fast ganz von einem hingeworfenen Handtuch zugedeckt.
»Sieht so aus, als ob dein Brüderlein mal wieder aufräumen müßte«, bemerkte Fritz Treutlein.
Alle drei standen mittlerweile an der offenen Tür.
»Los, wir gehen wieder in den Garten«, schlug die flachsblonde Monika vor. »Ich zeig’ euch mein Kaninchen.«
Die beiden Jungen blickten sich an, und Karlchen Kubatz machte mit dem Kopf eine kleine Bewegung nach draußen.
Fritz Treutlein heuchelte übergangslos Begeisterung. »Was, du hast ein Kaninchen?« rief er aus und faßte das Mädchen bei der Hand. »Komm, auf Kaninchen bin ich geradezu verrückt.«
Die Kleine warf im Weggehen ihren flachsblonden Pferdeschwanz herum. »Es ist ganz weiß, du mußt es auch sehen«, rief sie über die Schulter hinter sich.
»Nur eine Minute«, ließ sich Karlchen Kubatz vernehmen. »Ich will nur schnell deinem Bruder für die morgige Klassenarbeit etwas aufschreiben, was er unbedingt wissen muß. Wir sollten nämlich gleich wieder los und können nicht länger warten.«
»Aber mach dalli!« rief die Kleine mit dem Gipsbein noch. Ihre piepsige Stimme kam bereits von der Terrasse her.
Karlchen Kubatz gab der Tür einen Schubs mit dem Fuß, stellte gleichzeitig seine Schultasche auf den Boden, knipste das Licht an und blieb stehen.
»Jetzt, lieber Großwesir von Eschnapur, hilf mir«, flehte er, und dann fing er an zu suchen.
Immer wieder hatte der Bürstenhaarschnitt
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