Das unheimliche Haus
Jalousien standen. Sie waren im Augenblick die einzigen Gäste. Die Schüler des Prinz-Ludwig-Gymnasiums hatten sich längst aus dem Staub gemacht.
»Wir wollen warten, bis wir vollzählig sind«, hatte Paul Nachtigall vorgeschlagen. »Dann müssen wir dieselben Geschichten nicht doppelt erzählen und auch nicht doppelt anhören.«
»Total einverstanden«, hatte sich Sputnik vernehmen lassen. »Bei dieser Affenhitze muß jede überflüssige Kraftanstrengung vermieden werden.«
Seitdem gammelten sie mehr oder weniger auf ihren Stühlen herum, tranken ihre Milch, hingen ihren Gedanken nach oder blinzelten auch nur auf die leere Straße.
Frau Bandel hatte sich in ihre kleine Wohnung zurückgezogen und ihre Tür offengelassen. Als sie gerade mit ihrem Lieferanten für Fruchtextrakte telefonierte, erschien draußen Fritz Treutlein auf der Bildfläche. Sein Schutzblech klapperte auf dem Steinpflaster, und als er sein Rad über den Bordstein quälte, rutschte ihm beinahe seine graue Segeltuchtasche mit den Friseurutensilien vom Gepäckträger. Er hatte das ganze Gesicht voller Schweißperlen und war außer Atem. »Ihr führt vielleicht ein Leben«, japste er.
Die Glorreichen erwiderten kein Wort. Sie blickten ihn nur an, guckten dann im selben Moment, so als hätten sie es vorher eingeübt, auf ihre Armbanduhren und dann wieder zu dem Friseurlehrling.
Fritz Treutlein drehte sich um, nachdem er sein Fahrrad an die Hauswand gelehnt hatte, stemmte die Fäuste gegen die Hüften und schüttelte den Kopf. »Bei euch piept es wohl?« hechelte er und schnappte nach Luft. »Es ist sowieso ein Wunder, daß ich schon wieder da bin.«
»Schon wieder?« entgegnete Sputnik ironisch. »Hört, hört.«
»Also, wie sieht’s aus, Sportsfreund?« fragte Emil Langhans
versöhnlich.
»Moment«, keuchte Fritz Treutlein, »aber so viel Zeit muß sein.« Er grinste, verschwand im Inneren der Bar und rief schon im Weggehen: »Hallo, Erika, ein durstiger Krieger hätte gern eine eiskalte Milch.«
»Der durstige Krieger kennt sich ja aus und kann sich selber bedienen«, ließ sich Frau Bandel aus ihrer Wohnung vernehmen. Sie hatte für einen Augenblick mit einer Hand die Sprechmuschel an ihrem Hörer zugedeckt und telefonierte jetzt weiter.
Karlchen Kubatz steckte von der Straße her den Kopf durch die Tür. »Mann, deine Nerven möchte ich haben«, sagte er. »Sag endlich, was du rausgekriegt hast, wir warten, Menschenskind.«
»Ihr hättet vielleicht schwarz werden können vor lauter Warten, wenn nicht ein ganz irrer Zufall passiert wäre«, entgegnete der Friseurlehrling. Er drehte gerade den Milchhahn wieder ab und kam mit seinem randvollen Glas hinter der Theke hervor.
»Würdest du das freundlicherweise näher erklären?« fragte Paul Nachtigall von draußen.
»Dieser Zufall hat einen Namen und heißt Wildenbusch«, sagte Fritz Treutlein, als er an Karlchen Kubatz vorbei ins Freie kam.
»Aha«, meinte Emil Langhans. Und die anderen staunten ebenfalls. Während der Friseurlehrling jetzt alle Einzelheiten berichtete, staunten sie immer mehr. Schließlich hüpfte Sputnik vor lauter Staunen sogar von seinem Stuhl. »Eine tolle Rübe, dieser Wildenbusch, alle Achtung.«
Eine Weile schnatterten sie aufgeregt durcheinander. Dann waren sie auf einmal wieder ganz still und hingen ihren Gedanken nach, so wie sie es noch vor zehn Minuten gemacht hatten, bevor Fritz Treutlein aufgetaucht war.
Endlich lehnte sich Emil Langhans weit in seinen Stuhl zurück, nahm die Hände hinter den Kopf und machte wieder einmal die Augen zu, damit er sich besser konzentrieren konnte. »Jetzt wollen wir mal unsere grauen Zellen ganz flugs unter Strom setzen«, sagte er und faßte zusammen: »Die Nummer 18 ist also die eine Hälfte eines doppelten Reihenhauses. Der Eingang liegt hinter einem niedrigen Zaun und zur ebenen Erde. Keine anderen Mieter und kein Treppenhaus. Das ist für den Anfang schon gar nicht schlecht.« Er kreuzte an seinen langen, ausgestreckten Beinen die nicht mehr ganz neuen Tennisschuhe übereinander. »Frau Buchholz ist nachmittags in ihrem Hutladen angebunden...«
»... ihren Herrn Sohn haben wir unter unserer persönlichen Kontrolle«, warf Karlchen Kubatz dazwischen.
»Bleibt also bloß noch seine kleine, flachsblonde Schwester mit dem Gipsbein«, fuhr Emil Langhans fort. »Sie wird sich mit ziemlicher Sicherheit in der Wohnung aufhalten, und das wäre haargenau das, was wir brauchen.«
»Ich hab’s ja gesagt«, ereiferte sich
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