Das unheimliche Haus
Woche alt«, sagte er. »Und hier die Times vom 3. Juni 1953. Die Krönung war am zweiten.«
»Picobello«, bemerkte der Redakteur und zischte ab. Doch in der Tür drehte er sich um und kam wieder zwei Schritte zurück. »Bellinghausen«, sagte er. »Martin Bellinghausen müßte euch helfen können. Er war fast sein Leben lang Lokalredakteur, und wenn es überhaupt jemanden gibt, der euch was sagen kann, dann Belli. So heißt er bei uns. Seit einem Jahr ist er in Pension, aber die Finkbeiner hat todsicher seine Adresse. Ich muß in die Konferenz zurück, Entschuldigung.«
Karlchen und Sputnik trabten wieder in den ersten Stock und ins Vorzimmer des Chefredakteurs.
»Natürlich hab’ ich seine Adressen, sagte Fräulein Finkbeiner. »Aber ihr werdet euch wundem, das ist keine Straße mit irgendeiner Nummer. Herr Bellinghausen lebt auf einem Hausboot an der oberen Amper, nicht weit vom Viadukt. Ist nicht zu verfehlen. Aber vermutlich läßt er euch gar nicht zu sich an Bord. Das geht nämlich nur über ein Fallreep, und das hat er meistens eingezogen. Ein schrulliger Typ, unser alter Belli. Hat sich da draußen eingegraben wie ein Maulwurf, und was am Ufer passiert, ist ihm piepegal. Selbstverständlich kein Telefon, nicht mal ein Radio.« Sie legte ihr Strickzeug auf den Schreibtisch, weil eines ihrer Telefone klingelte. »Aber er war der beste Lokalredakteur, den unsere Zeitung je gehabt hat«, sagte sie noch zu Karlchen, und dabei nahm sie bereits den Hörer ab. »Bad Rittershuder Nachrichten, Chefredaktion...«
Zur selben Zeit spähte Fritz Treutlein hinter einer Plakatsäule hervor in die Rotwiesenstraße hinein. Das tat er jetzt schon seit einer guten Viertelstunde. Allerdings nicht immer von derselben Stelle aus. Um sich nicht verdächtig zu machen, spazierte er zwischendurch, die Hände tief in den Hosentaschen, um die Ecke, pfiff vor sich hin oder kickte auch mal eine weggeworfene Streichholzschachtel über das Pflaster. Sein Fahrrad hatte er vor einem kleinen Supermarkt angeschlossen. Und weil gleich gegenüber die Linie 12 ihre Straßenbahnhaltestelle hatte, gab es stets genügend Passanten, so daß der herumlungernde Friseurlehrling nicht auffiel.
Er hatte es noch nicht gewagt, tiefer in die Rotwiesenstraße einzudringen. Dort gab es nämlich keine Geschäfte, und sie war fast menschenleer. Nur ein paar Kinder spielten mit einem zitronengelben Gummiball, und zwei Hunde balgten sich. Das Haus Nummer 18 mußte am Ende der Straße auf der linken Seite liegen. Fritz Treutlein durfte sich nicht darauf verlassen, daß Ulli Buchholz um diese Zeit nicht in seiner Wohnung war. Wenn er jetzt einfach lostigerte, konnte es durchaus passieren, daß der Anführer der Maxen gerade in diesem Moment gelangweilt durch irgendein Fenster auf die Straße guckte, und dann wäre ihm der Friseurlehrling ganz bestimmt aufgefallen.
In dieser Gegend bestand die Siedlung aus lauter Doppelhäusern mit jeweils zwei Stockwerken und Giebeldächern. Alle hatten zur Straße hin kleine Vorgärten mit niedrigen Zäunen aus Drahtgeflecht.
Als Fritz Treutlein gerade wieder einmal hinter seiner Plakatsäule hervorkam, zuckte er zusammen. Ganz dicht hinter seinem Rücken hatte er das Quietschen von Bremsen gehört. Er drehte sich vorsichtig um.
»Hallo, was schleichst du hier wie ein Apache durch die Gegend?« fragte Herr Wildenbusch. Er saß in seinem nachtblauen Pontiac hinter dem Steuer, rauchte eine Zigarre und lachte. »Bist du am hellichten Tag auf dem Kriegspfad?«
Noch während Herr Wildenbusch redete, hatte Fritz Treutlein eine Idee.
»Sie kommen wie gerufen«, sagte er. »Darf ich mich zu Ihnen in den Wagen setzen?«
»Aber bitte sehr«, meinte der Kioskbesitzer vom Richard-Wagner-Platz. »Es ist mir ein Vergnügen, und ich hab’s nicht eilig.« Er öffnete die Tür zum Beifahrersitz, und der Friseurlehrling kletterte zu ihm in den riesigen Amischlitten. Eine Klimaanlage sorgte für kühle Luft, und aus dem Autoradio kamen gerade die neuesten Wasserstandsmeldungen.
»Ich sah dich schon, als ich um die Ecke bog«, sagte Herr Wildenbusch, »und dachte, daß ich dich vielleicht in die Stadt mitnehmen kann. Wo stecken deine Freunde?«
»Sie sind unterwegs«, antwortete Fritz Treutlein ausweichend. Er hatte in der Zwischenzeit seine Idee in Gedanken noch einmal überprüft, soweit das in den paar Sekunden überhaupt möglich gewesen war, und nichts entdecken können, was gegen sie sprach. »Darf ich Sie um einen Gefallen
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