Das unheimliche Medium
streifte ich die schmale Kette über den Kopf und hielt das Kreuz jetzt in der rechten Hand.
So war ich beweglicher.
»Kommen Sie!« flüsterte ich. »Kommen Sie…«
Sie kam nicht. Dafür drückte sie sich seitlich gegen die hohe Sessellehne, und die Blitze in ihrem Innern bekamen neue Kraft, sie leuchteten immer greller.
Gelb und Grün wechselten sich ab. Sie zuckten in alle Richtungen.
Ich hatte auch die ungewöhnlich reine Luft wahrgenommen. Hier floß die Elektrizität frei im Raum, gepeitscht von magischen Kräften aus anderen Welten.
Dann war ich bei ihr. Ein großer Schritt hatte die Distanz zu ihr überwunden. Auch wenn sie ein lebendes Energiebündel war, ich mußte es darauf ankommen lassen.
Mein Kreuz erwischte sie, und ich war im ersten Augenblick über die Weichheit ihres Körpers überrascht. Sie hatte wirklich so ausgesehen, als wäre sie innerlich hart geworden. Ein Schrei.
Wie das Klirren von Glas hörte er sich an.
Ich befand mich urplötzlich in einem irren Inferno aus magischen Blitzen und Energien. Die Kraft war ungemein stark, sie schleuderte mich zurück. Ich stolperte nach hinten, hatte am Rücken keine Augen und übersah einen Hocker.
Als ich fiel, landete ich schräg in einem Sessel, konnte aber sehen, was mit Betty geschah.
Mein Kreuz hatte seine Kraft gegen die andere gesetzt und dabei voll zugeschlagen. Zwei unterschiedliche Energien waren aufeinandergeprallt, und eine unschuldige Frau wie Betty Styron war zwischen diese Mühlsteine geraten. Sie tanzte, sie zuckte, als hätte sie aus dem Unsichtbaren Schläge erhalten. Zwei völlig unterschiedliche Kräfte oder Energien waren aufeinandergetroffen, und eine von ihnen mußte einfach die stärkere sein.
War es mein Kreuz?
Noch ereignete sich nichts. Betty stand auf der Stelle, ihr Körper wurde geschüttelt, der Kopf flog nach vorn, wieder zurück, und noch immer tobten sich die Energien aus.
Nicht mehr lange.
Es trat das ein, worauf ich gehofft hatte. Plötzlich spielten die Blitze und Energien verrückt, allerdings im positiven Sinne, denn sie verließen den Körper der Frau.
Wo es auch nur möglich war, rasten sie hervor. Aus den Augen, der Nase, den Ohren, selbst aus den Spitzen der Finger fanden sie ihren Weg, um als gezackte, helle Lanzen in den Teppich zu schlagen.
Ein ungewöhnlicher Geruch breitete sich aus. Es roch verbrannt, aber nicht nur. Ich kam damit nicht zu recht und schaute auf die helle Funkenspur, die durch das Zimmer raste und sich dabei in Schlangenlinien bewegte.
Sie strahlte den Geruch ab. Und so roch Strom…
Ich verfolgte die Funkenspur, die plötzlich auf das Fenster zujagte. Dann war sie weg.
Ich sprang ihr nach, um zu sehen, welches Ziel sie sich als nächstes aussuchte.
Wie eine knisternde Schlange jagte sie durch die Dunkelheit und schräg über die Straße hinweg.
Sie huschte an Hausdächern vorbei, bis sie plötzlich verschwunden war.
Das Ziel hatte ich nicht sehen können, ich befand mich leider noch zu dicht am Erdboden.
Und auf dem Boden saß auch Betty Styron. Sie war vor Schwäche gefallen und zum Glück von der Sessellehne aufgefangen worden. So war sie schließlich langsam zu Boden geglitten und hatte sich nicht verletzt.
Wie eine Puppe lag sie auf dem Boden. Im Zimmer war es dunkel geworden. Noch immer hing der scharfe und klare Geruch in der Luft.
Sogar das Knistern glaubte ich noch zu hören, aber das war wohl nur Einbildung. Ich hob sie auf. Sie war so steif, und ich befürchtete, daß sie die fremde Energie nicht überstanden hatte. Sie war einfach zu mächtig gewesen, selbst ich wußte noch keine Erklärung, woher sie plötzlich gekommen war. Aber sie steckte im Ort, sie verbarg sich nicht nur in den Gebäuden und Fenstern, sondern auch wohl in den Menschen selbst. Es stellte sich die Frage, ob sie auch aus eigener Kraft diesem Bann entfliehen konnten. Nachdem ich Bettys Kampf erlebt hatte, glaubte ich nicht daran.
Die Couch war lang genug, um die Frau dort niederlegen zu können. Ich strich ihr das fahlblonde Haar aus dem Gesicht – und spürte das Zucken unter der Haut.
Himmel, sie lebte!
Ich hörte das Poltern, als mir der Stein von der Seele rollte. Tatsächlich aber hatte das Poltern eine andere Ursache. Jemand kam die Stufen der Treppe hoch, und so, wie er ging, so unregelmäßig und mit Unterbrechungen, konnte das nur Walter Styron sein.
Ich drehte mich um und sah seine Gestalt als Schattenriß in der Tür. Ich holte meine Bleistiftleuchte hervor und sorgte
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