Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
noch nicht so blass um die Nase, aber eigentlich … eigentlich siehst du immer noch genauso aus wie auf dem Bild.« Sie nickte respektvoll. »Du hast dich kaum verändert.«
In Primus’ Kopf rumorte es. Wie konnte es sein, dass er sich an Magnus Ulme nicht erinnerte? Wie konnte es sein, dass er sich an überhaupt nichts mehr erinnerte, was früher einst geschehen sein musste? Was um Himmels willen war damals bloß passiert?
Wieder hatte er die Szene vor Augen, in der die zwei Jungen über die Felder rannten. War er etwa einer von den beiden gewesen? Er selbst und dieser andere. Wie hieß er noch, Ruven …?
Er blickte auf das Foto. Der andere Junge kam ihm ebenfalls bekannt vor. Die hohen Wangenknochen und die hellen Augen. Woher kannte er ihn nur?
»Sag mal«, ertönte Plims verwunderte Stimme, »ist das nicht dieser gemeine Kerl aus der Bibliothek?« Sie ging nahe an das Bild heran. »Natürlich!«, rief sie. »Das ist dieser Rabenstein! Jetzt sag bloß, du warst mit diesem Ekelpaket einmal befreundet?«
Primus blieb nichts anderes übrig, als ihr schon wieder Recht zu geben.
»Nicht zu fassen«, schimpfte er. »Deswegen hat er mich auch nach meinem Namen gefragt. Ich wusste gleich, dass da was nicht stimmen konnte, als er mich so komisch angesehen hat.«
»Aber wieso ist der jetzt so viel älter als du? Auf dem Bild hier seid ihr beide doch etwa gleich alt.«
Primus verschränkte die Arme und blickte zur Decke. »Ich weiß es nicht. Ich kann mich nur an Fetzen erinnern. Irgendwas habe ich vor Ewigkeiten einmal mit diesem Kerl im Wald gesucht, aber was?«
Er kniff die Augen zusammen. Die beiden Jungen hatten doch etwas bei sich gehabt, als sie durch den Wald gegangen waren. Genau! Sie hatten Lampen und Seile dabei. Dieses Bild war ihm in den Sinn gekommen, als er im Wald vor dem Erdspalt gestanden hatte. Waren er und Rabenstein einst dort hinuntergestiegen? Was hatten sie dort unten gesucht? Primus wusste keine Antwort auf all die Fragen.
»Nun gut«, sagte er, »ich glaube nicht, dass uns dieses Kopfzerbrechen sonderlich viel weiterhilft. Wir werden dieser Geschichte schon noch auf die Schliche kommen.« Er klatschte in die Hände. »Heute Nacht geht es los. Wir fliegen zur Bibliothek und steigen in den Keller hinunter. Was das Thema Kellerdurchsuchen betrifft, so sind wir ja inzwischen Spezialisten. Wir kriegen das schon hin, und dann werden wir auch erfahren, was in diesem Buch steht.« Er griff nach dem Bild und steckte es ein.
»Komm mal mit nach oben«, sagte er. »Ich habe gestern Nacht im Wald etwas gefunden, das ich dir unbedingt noch zeigen muss. Vielleicht weißt du ja, was man damit anstellen kann.«
Sie packten alles zusammen und stiegen durch das Fass zurück in den Weinkeller.
Plim blieb noch für eine geraume Zeit bei Primus im Turm und lauschte gespannt seinem Abenteuer von der vergangenen Nacht. Voll Staunen betrachtete sie die goldene Plakette, die er auf dem Felsvorsprung gefunden hatte.
Als aber die Sonne unterging und Primus im Turmzimmer auf dem Schreibtisch saß, war Plim längst nach Hause gegangen. Er hatte die Fotografie neben sich auf den Tisch gestellt und ließ gelassen seine Beine baumeln.
Langsam schlug der Spiegel die Augen auf.
»Was für ein trautes Gruppenbild«, sagte er mit einem Augenzwinkern, als er das Foto bemerkte. »Bist du heute wieder auf der Suche gewesen?«
»Wonach könnte ich denn gesucht haben?«, gab Primus zurück.
Der Spiegel stieß ein Lachen aus. »So gefällst du mir, mein Kleiner. Du warst schon immer ein helles Köpfchen. Das habe ich dir vom ersten Tag an angesehen.« Seine Stimme senkte sich. »Vor einigen Tagen hast du doch noch nach verborgenen Türen gesucht. Hast du heute vielleicht eine gefunden, hm? Oder suchst du mittlerweile nach etwas völlig anderem?«
Primus hob schweigend das Kinn.
Doch der Spiegel fuhr fort: »Aber ich denke, du weißt selbst viel besser, wonach du suchst. Und wenn du es nicht weißt, woher sollte ich es dann wissen? Nur so viel möchte ich dir sagen: Denk immer an alles, was du gelesen hast. Vergiss nie die Dinge, die ich dir gesagt habe. Und eines ist von allem am wichtigsten, lieber Primus.« Er deutete mit seinem Kopf auf das Bild von Rabenstein. »Sei dir immer bewusst, dass du zeit deines Lebens viel klüger gewesen bist als dieser andere da.«
Das Bildnis der Nebelfee
L angsam wanderten die Schatten der Tannen über die Lichtung, während die Sonne hinter dem Finsterwald unterging. Der heiße
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