Das unsagbar Gute
die Treppe hinunter, er ließ sich Zeit. Hetzen war in seinem Metier eher schädlich, davon hatten ihn unglückselige Vorfälle überzeugt, deren Zeugeer geworden war. Neunzig Prozent davon hätten sich bei Verzicht auf Hetzerei vermeiden lassen – vorausgesetzt, die lieben Kollegen hätten die dadurch gewonnene Ruhe zum nüchternen Überlegen verwendet, aber damit haperte es bei denen, mit dem Überlegen, die waren in ihrer Mehrzahl affektgesteuert.
Bindl sah durch den Spion der spezialverstärkten Wohnungstür, die auch Beschuss aus nächster Nähe standhalten und den Blödmann, der versuchte, hindurchzuschießen, durch die abprallende Munition umbringen würde. Draußen stand Charly. Bindl bediente die drei Schlösser und öffnete die Tür. Er ließ Charly eintreten. Der nickte ihm zu, Bindl deutete auf die Treppe, Charly rannte nach oben, immer zwei Stufen auf einmal, der Chef liebte es, wenn seine Leute sich beeilten. Bindl kam mit bedächtigem Treppensteigen nach, im Kreise seiner Leute bewegte er sich, fanden die, immer wie ein deutlich älterer Mann; ein wenig wie Marlon Brando im »Paten«. Sie machten ihre Witze darüber; es war bekannt, dass er den Film viele Male gesehen hatte. Charly stand in der Küchenmitte, Bindl wies auf einen Stuhl. Charly hätte nicht gewagt, sich ohne Aufforderung zu setzen, niemand hätte das. Bindl setzte sich auch. »Nimm dir ein Bier«, sagte er. Die fistelige Quäkstimme, die sich dauernd zu überschlagen schien, belustigte jeden, der sie hörte (und Bindl nicht kannte). Charly war nicht belustigt. Er kannte Bindl seit vielen Jahren und wusste, wozu der fähig war. Charly nahm sich weisungsgemäß ein Ottakringer aus dem Kühlschrank und machte es auf. Als er die Flasche zum Mund führte, sagte Bindl »Glas!«. Charly entspannte sich. Bei der Bewirtung gab es in dieser Wohnung ein strikt eingehaltenes Zeremoniell. Untergebene, mit denen Bindl unzufrieden war, bekamen gar nichts. Im neutralen Zustand ein Bier aus der Flasche, im Zustand milden Wohlwollens Bier mit Glas. Das war schon die für Charly und seinesgleichen erreichbareHöchststufe; Wein und harte Getränke wurden dem Vernehmen nach nur an Bindls Kollegen und die Anwälte ausgeschenkt, aber bei solchen Treffen war Charly nie dabei, da saß er im Auto vor dem Haus und passte auf die Tür auf.
Charly holte sich ein Glas und setzte sich wieder.
»Also«, sagte Bindl.
»Er ist verschwunden«, sagte Charly und nahm den ersten Schluck.
»Das heißt …?«
»Er ist weg, wirklich weg. Offiziell. Die Polizei hat das Auto gefunden. Ganz in der Nähe.«
»Wo wir den Verdacht hatten …«
»Ja, Chef, zweihundert Meter von dieser Villa.«
»Ich hoffe, du hast sonst alles gecheckt.«
»Aber klar doch! Ich hab mich umgehört, intensiv. Es war bei ihm alles normal in letzter Zeit. Er hat gut verdient. In seinem Beruf, heißt das. Könnte natürlich sein, dass er irgendjemandem auf die Zehen gestiegen ist. Aber um das rauszukriegen, hätte ich dort reingehen müssen. In sein Büro, das ging aber nicht mehr, da waren wir zu spät dran – sein Auto stand im Parkverbot, das fiel gleich auf, wurde relativ rasch abgeschleppt, weil er da irgendwas blockiert hat, eine Ausfahrt, was weiß ich, ein Bonze von der Stadt hat sich aufgeregt und Dampf gemacht, also hat man ihn gesucht. Na ja, und nicht gefunden.«
»Zum Glück.«
»Wie meinst du das, Chef?« Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Branche schätzte es Bindl, wenn seine Leute Fragen stellten, wenn sie etwas nicht verstanden hatten. Dann erklärte er es ihnen. Allerdings erwartete er, dass sie es nach seiner Erklärung verstanden, denn weiteren Erläuterungen war er, sagen wir – abgeneigt. Dies war auch der Grund, warum Bindl den vor Urzeiten ergriffenen Lehrberuf aufgegeben hatte.Er konnte Begriffsstutzigkeit nicht leiden und musste sie auch nicht ertragen. Nicht-Begreifen war nur Denkfaulheit und sonst gar nichts. Die meisten Menschen dachten nicht gern, wie sie zum Beispiel nicht gern schwere Sachen heben oder Steuern zahlen. Es hatte nichts mit Können, sondern nur mit Nicht-Wollen zu tun. In seiner jetzigen Position hatte er die Mittel, solche Denkfaulheit zu unterbinden; diese Mittel wären ihm in einer Schulkarriere nicht zur Verfügung gestanden, obgleich sie dort, davon war er überzeugt, ebenso erfreuliche Ergebnisse gezeigt hätten.
Bindl ließ sich mit der Antwort Zeit. Das machte er immer so. Ein Fehler, den nur Anfänger machten, wäre es gewesen,
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