Das Unsterblichkeitsprogramm
verkaufen, dass er es sich gar nicht genauer ansehen möchte, wodurch er vielleicht auf Unstimmigkeiten stoßen würde. So schlimm, dass er nicht einmal daran denken möchte.«
29
Auf Ortegas Liste standen über zweitausend Namen, und zu jedem gab es einen kurzen Bericht mit eventuellen Vorstrafen der Betreiber oder der Stammkunden, die die Abteilung für Organische Defekte betrafen. Als Ausdruck waren es fast zweihundert Blätter, die sich wie eine Ziehharmonika entfalteten, als ich nach der ersten Seite griff.
Auf dem Rückflug nach Bay City versuchte ich die Liste im Taxi zu überfliegen, gab es aber bald auf, als wir uns darin zu verheddern drohten. Außerdem war ich sowieso nicht in Stimmung. Ich wäre viel lieber im Bett des Schlafzimmers von Rykers Jacht liegen geblieben, vom Rest der Menschheit und ihren Problemen durch mehrere hundert Kilometer fährtenloses Blau isoliert.
In der Wachtturm-Suite schickte ich Ortega in die Küche, während ich Kawahara unter der Nummer anrief, die Trepp mir gegeben hatte. Trepp war auch die erste Person, die ich auf dem Bildschirm sah. Ihr Gesicht war noch vom Schlaf gezeichnet. Ich fragte mich, ob sie die ganze Nacht wach geblieben war, um meine Spur zu verfolgen.
»Guten Morgen.« Sie gähnte und schien einen internen Zeitchip zu konsultieren. »Oder eher guten Tag. Wo haben Sie gesteckt?«
»Ich war unterwegs.«
Trepp rieb sich geziert ein Auge und gähnte erneut. »Nichts für ungut. Wollte nur etwas Konversation machen. Wie geht es Ihrem Kopf?«
»Besser, danke. Ich möchte mit Kawahara reden.«
»Klar.« Ihre Hand näherte sich dem Bildschirm. »Wir unterhalten uns später.«
Der Bildschirm schaltete auf eine neutrale Ansicht, eine Helix, die sich zu unerträglich süßlichen Klängen wand. Ich knirschte mit den Zähnen.
»Takeshi-san.« Wie immer eröffnete Kawahara das Gespräch auf Japanisch, als wollte sie damit eine gemeinsame Grundlage schaffen. »So früh habe ich nicht mit Ihrem Anruf gerechnet. Haben Sie gute Neuigkeiten für mich?«
Ich antwortete hartnäckig auf Amenglisch. »Ist diese Verbindung sicher?«
»Ja – soweit man sich dessen überhaupt sicher sein kann.«
»Ich hätte hier eine Einkaufsliste.«
»Schießen Sie los.«
»Als Erstes benötige ich Zugang zu einem militärischen Virus. Vorzugsweise Rawling 4851 oder eine der Condomar-Varianten.«
Kawaharas intelligente Züge wurden abrupt hart. »Das Innenin-Virus?«
»Ja. Es wird schon seit über hundert Jahren nicht mehr eingesetzt. Es dürfte also nicht allzu schwierig sein, es zu beschaffen. Und dann brauche ich…«
»Kovacs, ich glaube, Sie sollten mir erklären, was Sie zu tun beabsichtigen.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Ich hatte Sie so verstanden, dass ich es auf meine Art mache und Sie nicht darin verwickelt werden wollen.«
»Wenn ich Ihnen eine Kopie des Rawling-Virus beschaffe, bin ich bereits darin verwickelt, würde ich sagen.« Kawahara bedachte mich mit einem wohldosierten Lächeln. »Also, was wollen Sie damit anstellen?«
»Sie möchten als Resultat sehen, dass Bancroft Selbstmord begangen hat. Ist das richtig?«
Ein zögerndes Nicken.
»Dann muss es dafür einen Grund geben«, sagte ich, während ich mich allmählich für das Täuschungsmanöver erwärmen konnte, das ich mir zurechtgelegt hatte. Ich machte genau das, wozu ich ausgebildet worden war, und es fühlte sich gut an. »Bancroft lässt sich extern speichern, also klingt ein Selbstmord nur dann plausibel, wenn er einen ganz bestimmten Grund hatte. Einen Grund, der nichts mit der eigentlichen Selbsttötung zu tun hat. Zum Beispiel, um sich zu schützen.«
Kawahara kniff die Augen zusammen. »Weiter.«
»Bancroft sucht regelmäßig Bordelle auf, sowohl reale als auch virtuelle. Das hat er mir vor ein paar Tagen selbst gesagt. Und dass er nicht besonders wählerisch ist, was die Qualität der Etablissements betrifft. Nehmen wir also an, dass es in einer VR zu einem Unfall gekommen ist, während er seine männlichen Bedürfnisse abreagierte. Ein bislang unbemerkter Fehler in einem alten verstaubten Programm, das seit Jahrzehnten niemand mehr geöffnet hat. Man weiß nie, was in den Häusern minderer Qualität noch alles herumliegt.«
»Das Rawling-Virus.« Kawahara atmete aus, als hätte sie erwartungsvoll die Luft angehalten.
»Die Rawling-Variante 4851 benötigt etwa hundert Minuten, um vollständig aktiv zu werden, und zu diesem Zeitpunkt ist es zu spät, noch irgendetwas dagegen zu
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