Das Unsterblichkeitsprogramm
blickte über das Wasser, die Augen im grellen Licht leicht zusammengekniffen. Der Ozean wirkte flacher und schwerfälliger als auf Harlans Welt. Auf dem Deck wurde einem die Unermesslichkeit bewusst, und die Jacht war plötzlich nur noch ein Kinderspielzeug. »Ich werde tun, was Kawahara will. Was Miriam Bancroft will. Was du willst. Was anscheinend jeder will. Ich werde den Fall abschließen.«
»Du glaubst, dass Kawahara für Bancrofts Tod verantwortlich ist?«
»Es scheint so. Oder sie deckt jemanden, der es getan hat. Aber das spielt jetzt ohnehin keine Rolle mehr. Sie hat Sarah, und das ist der ausschlaggebende Punkt.«
»Wir könnten sie wegen Entführung belangen. Die illegale Zurückhaltung eines DigIns…«
»Bringt fünfzig bis hundert ein, ja.« Ich lächelte. »Ich habe dir letzte Nacht zugehört. Aber sie dürfte die Sache nicht persönlich durchgezogen haben, sondern durch einen Strohmann.«
»Wir könnten eine richterlichen Anordnung…«
»Sie ist eine Meth, Kristin. Sie wird alles zurückschmettern, ohne dass sich auch nur ihre Pulsfrequenz erhöht. Darum geht es auch gar nicht. Sobald ich etwas gegen sie unternehme, wird sie Sarah in die VR schicken. Wie lange brauchst du mit deiner wunderbaren Anordnung, bis du aktiv werden kannst?«
»Ein paar Tage, wenn die UN das Verfahren expediert.« Ein Schatten fiel auf Ortegas Gesicht, als sie es sagte. Sie lehnte sich gegen die Reling und starrte nach unten.
»Genau. Das entspricht virtuell einem guten Jahr. Sarah ist kein Envoy, sie hat keinerlei Konditionierung. Was Kawahara in acht oder neun virtuellen Monaten mit ihr anstellen kann, würde einen normalen Geist völlig zermürben. Sie wäre nur noch eine schreiende Irre, wenn wir sie endlich herausholen. Falls wir sie herausbekommen. Ich werde nicht einmal daran denken, sie auch nur eine einzige Sekunde lang…«
»Okay.« Ortega legte mir die Hand auf die Schulter. »Schon gut. Tut mir Leid.«
Ich zitterte leicht, aber ich wusste nicht genau, ob es der Meereswind oder der Gedanke an Kawaharas virtuelle Kerker war.
»Vergiss es.«
»Ich bin Polizistin. Es liegt in meiner Natur, nach Möglichkeiten zu suchen, den Bösen das Handwerk zu legen. Das ist alles.«
Ich warf ihr einen deprimierten Blick zu. »Ich bin Envoy. Es liegt in meiner Natur, nach Möglichkeiten zu suchen, Kawahara zu Hackfleisch zu machen. Ich habe gesucht, aber keine gefunden.«
Sie antwortete mit einem unbehaglichen Lächeln, in dem eine Ambivalenz mitschwang, die uns, wie ich wusste, früher oder später Schwierigkeiten machen würde.
»Es ist so, Kristin. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, die Sache zu regeln. Indem ich Bancroft eine überzeugende Lüge auftische und den Fall abschließe. Das ist illegal, sehr illegal, aber es tut keinem der Beteiligten weh. Ich muss dir nichts darüber erzählen, falls du es nicht wissen möchtest.«
Sie dachte eine Weile nach und beobachtete das Wasser neben der Jacht, als würde die Antwort darin schwimmen. Ich ging an der Reling entlang, um ihr Zeit zu geben, legte den Kopf in den Nacken, um die blaue Schale des Himmels zu mustern und mir über orbitale Überwachungssysteme Gedanken zu machen. Weit draußen inmitten eines scheinbar endlosen Ozeans, in die High-Tech-Sicherheit der Jacht gehüllt, konnte man sich leicht dem Glauben hingeben, es wäre möglich, sich vor den Kawaharas und Bancrofts dieser Welt zu verstecken. Aber diese Art, sich zu verstecken, existierte schon seit Jahrhunderten nicht mehr.
Wenn sie dich wollen, hatte die jugendliche Quell über die herrschende Elite von Harlans Welt geschrieben, werden sie dich früher oder später vom Globus auflesen, wie interessante Staubkörnchen auf einem marsianischen Artefakt. Selbst wenn du den Abgrund zwischen den Sternen überquerst, können sie dir folgen. Selbst wenn du dich für Jahrhunderte einlagern lässt, werden sie auf dich warten, mit einem frisch geklonten Sleeve. Sie sind so, wie wir uns einst die Götter erträumt haben, die ausführenden Organe des Schicksals, so unausweichlich wie der Tod, der arme alte Bauernknecht, der, über seine Sense gebeugt, diese Rolle nicht mehr spielen kann. Der arme Tod hat den mächtigen Carboneogen-Techniken der Datenspeicherung und Wiederbelebung nichts mehr entgegenzusetzen. Einst lebten wir in Angst vor dem Tag seines Kommens. Jetzt flirten wir unflätig mit seiner ernsten Würde, und Wesen wie sie würden ihn nicht einmal durch den Lieferanteneingang hereinlassen.
Ich
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