Das Unsterblichkeitsprogramm
Schweigen. »Und nach einer Abschaltung ist es unwahrscheinlich, dass mich irgendjemand wieder reaktiviert.«
Typischer Maschinenidiolekt. Ganz gleich, wie intelligent sie wurden, am Ende klangen sie immer wie eine Lernbox aus dem Kindergarten. Ich seufzte und blickte direkt auf die lebensechten Holoausschnitte an der Wand. »Wenn du aussteigen möchtest, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, es mir zu sagen.«
»Ich will nicht aussteigen, Takeshi Kovacs. Ich möchte lediglich, dass Sie meine Überlegungen im Zusammenhang mit diesen Handlungen zur Kenntnis nehmen.«
»Okay. Ich habe sie zur Kenntnis genommen.«
Ich schaute zur Digitalanzeige hinauf und verfolgte, wie die nächste volle Minute verstrich. Weitere vier Stunden für Miller. In der Routine, die das Hendrix ablaufen ließ, würde er weder Hunger noch Durst verspüren oder sich um sonstige körperliche Funktionen kümmern müssen. Schlaf war möglich, aber die Maschine würde nicht zulassen, dass er ins Koma fiel und sich aus der Affäre zog. Das Einzige, womit sich Miller auseinander setzen musste, abgesehen von den Unannehmlichkeiten seiner Umgebung, war er selbst. Das war es, was ihn schließlich in den Wahnsinn treiben würde.
Zumindest hoffte ich es.
Keiner der Märtyrer der Rechten Hand Gottes, die wir dieser Routine unterzogen hatten, konnte ihr länger als fünfzehn Minuten Echtzeit standhalten. Allerdings waren sie mit Leib und Seele Krieger gewesen, die ihren Kampfplatz mit fanatischer Tapferkeit betraten, aber nicht im Geringsten mit virtuellen Techniken vertraut waren. Sie waren mit einem starken religiösen Dogma ausgestattet gewesen, das ihnen erlaubte, unzählige Grausamkeiten zu verüben, doch wenn es gebrochen wurde, stürzte es wie ein Staudamm in sich zusammen, worauf sie bei lebendigem Leib von ihrer Selbstverachtung zerfressen worden waren. Millers Geist war nicht annähernd so simpel und selbstgerecht strukturiert, und seine Konditionierung war zweifellos gut.
Draußen musste es bereits dunkel geworden sein. Ich sah auf die Uhr und zwang mich dazu, nicht zu rauchen. Und ich versuchte, allerdings mit weniger Erfolg, nicht an Ortega zu denken.
Rykers Sleeve ging mir allmählich auf die Nerven.
34
Es dauerte einundzwanzig Minuten, bis Miller erledigt war. Das Hendrix musste es mir gar nicht mitteilen, denn das Datenlink-Terminal, das ich mit dem virtuellen Telefon verbunden hatte, erwachte plötzlich zum Leben und spuckte bedruckte Seiten aus. Ich ging hinüber und sah sie mir an. Eigentlich sollte das Programm ein wenig Ordnung in Millers Gestammel bringen, damit es einigermaßen normal klang, trotzdem las sich der Text recht zusammenhanglos. Miller hatte sich fast bis zur Grenze des Erträglichen treiben lassen, bevor er aufgegeben hatte. Ich überflog die ersten Zeilen und erkannte zwischen dem Unsinn das, was ich von ihm hören wollte.
»Lösch die Datenreplikanten«, sagte ich zum Hotel und ging schnell zur Liege zurück. »Gib ihm noch ein paar Stunden, um sich zu beruhigen, dann klink mich ein.«
»Es wird länger als eine Minute dauern, die Verbindung herzustellen, was bei der gegenwärtigen Ratio drei Stunden und sechsundfünfzig Minuten entspricht. Möchten Sie ein Konstrukt installieren lassen, bis Sie ins Programm einsteigen können?«
»Ja, das wäre…« Ich hielt inne, als ich gerade die Hypnofone aufsetzen wollte. »Einen Moment… wie gut ist das Konstrukt?«
»Es ist eine synthetische Intelligenz aus der Emmerson-Mainframe-Serie«, sagte das Hotel mit vorwurfsvollem Unterton. »Bei maximaler Auflösung sind meine virtuellen Konstrukte nicht von den Bewusstseinen zu unterscheiden, auf denen sie basieren. Das Subjekt war nun seit einer Stunde und siebenundzwanzig Minuten allein. Möchten Sie das Konstrukt installieren lassen?«
»Ja.« Ich hatte ein unheimliches Gefühl, als ich die nächsten Worte sprach. »Ich möchte sogar, dass es das gesamte Verhör durchführt.«
»Installation abgeschlossen.«
Ich legte die Hypnofone wieder zurück und setzte mich auf den Rand der Liege, um darüber nachzudenken, was es bedeutete, dass sich nun eine zweite Version von mir innerhalb des gewaltigen Rechnersystems des Hendrix befand. Einer solchen Prozedur war ich im Corps noch nie zuvor – soweit mir bekannt war – unterzogen worden, und ich hatte noch nie einer Maschine genügend Vertrauen entgegengebracht, um es zu tun, während ich in einem kriminellen Kontext operierte.
Ich räusperte mich. »Weiß es,
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