Das Unsterblichkeitsprogramm
dass es… nur ein Konstrukt ist?«
»Nein. Jedenfalls nicht zu Anfang. Es verfügt über das gleiche Wissen wie Sie, als Sie das Programm verlassen haben, aber in Anbetracht Ihrer Intelligenz dürfte es schließlich den wahren Sachverhalt erkennen, sofern es nicht anders programmiert wurde. Möchten Sie, dass ich ein entsprechendes Subprogramm installiere?«
»Nein«, sagte ich schnell.
»Möchten Sie, dass das Programm unbegrenzt aktiv bleibt?«
»Nein. Schließe es, wenn ich, das heißt, wenn er, also das Konstrukt, beschließt, dass wir genug haben.« Dann kam mir eine weitere Idee. »Besitzt das Konstrukt den virtuellen Lokator, den man mir mitgegeben hat?«
»Gegenwärtig ja. Ich lasse denselben Spiegelcode laufen, den ich auch bei Ihrem Bewusstsein benutzt habe, um das Signal zu kaschieren. Da das Konstrukt jedoch nicht direkt mit Ihrem kortikalen Stack verbunden ist, kann ich das Signal subtrahieren, wenn Sie möchten.«
»Lohnt sich die Mühe?«
»Der Spiegelcode ist leichter anzuwenden«, räumte das Hotel ein.
»Dann lass es, wie es ist.«
Ich hatte ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube, wenn ich daran dachte, mein virtuelles Ich zu editieren. Es erinnerte mich zu sehr an die willkürlichen Maßnahmen, die in der realen Welt von den Kawaharas und Bancrofts getroffen wurden, um reale Menschen zu manipulieren. Der hemmungslose Einsatz der Macht.
»Sie haben einen virtuellen Anruf«, gab das Hendrix bekannt.
Ich blickte auf, gleichzeitig überrascht und voller Hoffnung.
»Ortega?«
»Kadmin«, erwiderte das Hotel zurückhaltend. »Möchten Sie den Anruf annehmen?«
Es war eine virtuelle Wüste. Rötlicher Staub und Sandstein, ein Himmel, der am Horizont klebte und wolkenlos blau war. Die Sonne und ein blasser Dreiviertelmond hingen hoch und steril über einer fernen Kette aus Tafelbergen. Die Luft war beißend kalt, was im Kontrast zum grellen Sonnenschein stand.
Der Patchwork-Mann wartete bereits auf mich. In der leeren Landschaft wirkte er wie ein aus Stein gehauenes Abbild, wie die Statue eines bösen Wüstendämons. Er grinste, als er mich sah.
»Was wollen Sie, Kadmin? Falls Sie bei Kawahara wieder Einfluss gewinnen möchten, fürchte ich, dass Sie damit kein Glück haben werden. Sie hat von Ihnen die Nase gestrichen voll.«
Ein belustigter Ausdruck zog über Kadmins Gesicht, und er schüttelte langsam den Kopf, als wollte er Kawahara völlig aus der Gleichung streichen. Seine Stimme klang tief und melodisch.
»Wir beide haben noch eine offene Rechnung zu begleichen«, sagte er.
»Ja, Sie haben zweimal hintereinander versagt.« Ich ließ meine Stimme vor Verachtung triefen. »Was wollen Sie? Es ein drittes Mal versuchen?«
Kadmin hob die kräftigen Schultern. »Aller guten Dinge sind drei, sagt man. Gestatten Sie, dass ich Ihnen etwas zeige.«
Er gestikulierte nach hinten, wo ein Stück der Wüstenkulisse wegklappte und ein schwarzes Fenster offenbarte. Es verwandelte sich in einen Bildschirm, der knisternd zum Leben erwachte. Die Nahaufnahme eines schlafenden Gesichts. Es war Ortegas Gesicht. Eine Faust packte mein Herz. Ihr Gesicht war grau und hatte blaue Flecken unter den Augen. Aus einem Mundwinkel lief ein dünner Speichelfaden.
Betäubungsstrahl aus nächster Nähe.
Das letzte Mal, als mir eine volle Betäubungsladung zuteil geworden war, hatte ich das der Ordnungspolizei von Millsport zu verdanken, und obwohl die Envoy-Konditionierung dafür gesorgt hatte, dass ich nach etwa zwanzig Minuten wieder so etwas wie das Bewusstsein erlangt hatte, war ich in den folgenden paar Stunden zu kaum mehr imstande gewesen, als zitternde und zuckende Bewegungen zu vollführen. Ich konnte nicht sagen, wie lange es her war, seit Ortega den Treffer erhalten hatte, aber sie sah schlimm aus.
»Ein ganz einfacher Austausch«, sagte Kadmin. »Sie gegen Ortega. Ich parke zwei Ecken weiter an einer Straße namens Minna. Ich werde dort noch fünf Minuten lang warten. Kommen Sie allein, sonst schieße ich ihr den Stack aus dem Genick. Sie haben die Wahl.«
Der Patchwork-Mann lächelte, während rund um ihn herum die Wüste knisternd verblasste.
Ich schaffte es in exakt einer Minute bis zur Minna. Zwei Wochen ohne zu rauchen waren wie eine unverhoffte Erweiterung von Rykers Lungen.
Es war eine triste kleine Straße mit verrammelten Läden und aufgegebenen Geschäften. Niemand war in der Nähe. Das einzige Fahrzeug weit und breit war ein mattgrauer Kreuzer, der am Bordstein wartete.
Weitere Kostenlose Bücher