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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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bereit waren, in den Gerichtssaal einzuziehen, nahmen sie es gut auf. Es bildeten sich wieder die kleinen Gruppen, und das müßige Geplauder von Leuten, die gegen ihren Willen warten müssen, ging weiter. Sie teilten sich nach Geschlechtern auf, nicht nach der Hautfarbe. Die Männer neigten dazu, sich an einem Ende des Zimmers zusammenzuscharen, die Frauen am anderen Ende. Die Raucher kamen und gingen. Nur Herman Grimes behielt immer die gle iche Position bei, am Kopfende des Tisches, wo er auf einem Braille-Laptop herumtippte. Er hatte alle wissen lassen, daß er bis in die frühen Morgenstunden damit beschäftigt gewesen war, sich durch die schriftliche Beschreibung von Dr. Bronskys Demonstrationsmaterial hindurchzuarbeiten.
    Der zweite Laptop war an eine Steckdose in der Ecke angeschlossen. Dort hatte Lonnie Shaver sich mit drei Klappstühlen ein provisorisches Büro eingerichtet. Er analysierte Ausdrucke von Lagerbeständen, studierte Inventarlisten, überprüfte an die hundert weitere Details und hatte nichts dagegen, daß er von den anderen ignoriert wurde. Er war nicht unfreundlich, nur anderweitig beschäftigt.
    Frank Herrera saß in der Nähe des Braille-Computers, grübelte über die Schlußnotierungen im Wall Street Journal nach und sprach gelegentlich ein paar Worte mit Jerry Fernandez, der ihm am Tisch gegenübersaß und sich mit der neuesten Ergebnisliste der College-Spiele vom Samstag beschäftigte. Der einzige Mann, der sich gern mit den Frauen unterhielt, war Nicholas Easter, und an diesem Tag erörterte er den Fall leise mit Loreen Duke, einer massigen, immer gutaufgelegten Schwarzen, die als Sekretärin auf der Keesler Air Force Base arbeitete. Als Geschworene Nummer eins saß sie neben Nicholas, und die beiden hatten sich angewöhnt, während der Sitzung auf Kosten von fast jedermann miteinander zu tuscheln. Loreen war fünfunddreißig, ohne Ehemann, aber mit zwei Kindern, und mit einem guten Job bei einer Bundesbehörde, den sie nicht im mindesten vermißte. Sie gestand Nicholas, daß sie ein Jahr aus dem Büro abwesend sein könnte, ohne daß es jemandem etwas ausmachte. Er erzählte ihr tolle Geschichten über die Missetaten der Tabakkonzerne während früherer Prozesse, und er gestand ihr, daß er sich im Verlauf seines zweijährigen Jurastudiums eingehend mit den Klagen gegen die Tabakindustrie beschäftigt hatte. Das Studium hätte er dann aus finanziellen Gründen aufgeben müssen. Die Lautstärke ihrer Stimmen war sorgfältig so gedrosselt, daß sie außer Hörweite von Herman Grimes blieb, der nach wie vor mit seinem Laptop beschäftigt war.
    Die Zeit verging, und um zehn ging Nicholas zur Tür und riß Lou Dell aus ihrem Taschenbuch. Sie hatte keine Ahnung, wann der Richter sie holen lassen würde, und es gab einfach nichts, was sie dagegen tun konnte.
    Nicholas setzte sich an den Tisch und begann ein strategisches Gespräch mit Herman. Es war nicht fair, sie bei Verzögerungen wie dieser eingeschlossen zu halten, und Nicholas war der Ansicht, daß ihnen erlaubt werden sollte, das Gebäude zu verlassen, mit einer Eskorte, und außer dem Spaziergang nach dem Lunch auch einen am Morgen zu unternehmen. Man einigte sich darauf, daß Nicholas diese Bitte wie üblich schriftlich niederlegen und sie Richter Harkin in der Mittagspause zukommen lassen sollte.
    Um halb elf betraten sie endlich den Saal. Die Atmosphäre war immer noch geladen von der Hitze des Gefechts, und die erste Person, die Nicholas sah, war der Mann, der in seine Wohnung eingedrungen war. Er saß in der dritten Reihe auf der linken Seite, in Hemd und Krawatte und mit einer Zeitung, die aufgeschlagen auf der Rückenlehne des Sitzes vor ihm ruhte. Er war allein und warf kaum einen Blick auf die Geschworenen, als diese ihre Plätze einnahmen. Nicholas starrte ihn nicht an; zwei eingehende Blicke, und er hatte ihn eindeutig identifiziert.
    Ungeachtet seiner Tücke und Verschlagenheit beging Fitch gelegentlich eine große Dummheit. Daß er seinen Gangster in den Gerichtssaal schickte, war ein riskantes Unterfangen, das ihm kaum etwas einbringen konnte. Was sollte er dort sehen oder hören, das nicht auch einer von dem Dutzend Anwälten und dem halben Dutzend Jury-Beratern oder der Handvoll anderer Lakaien, die Fitch im Gerichtssaal postiert hatte, hätte sehen oder hören können?
    Obwohl Nicho las überrascht war, den Mann zu sehen, hatte er sich doch bereits überlegt, was er tun würde. Er hatte mehrere Pläne, die davon

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