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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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stellte den Antrag, die Aussage von Dr. Hilo Kilvan, einem angeblichen Experten aus Montreal auf dem Gebiet der Statistiken über Lungenkrebs, nicht zuzulassen. Der Antrag löste eine kleine Schlacht aus. Wendall Rohr und sein Team waren besonders wütend über die Taktik der Verteidigung, die versucht hatte, die Aussage jedes Experten der Anklage zu verhindern. Und die Verteidigung war mit ihrer Verzögerungstaktik und ihren Versuchen, alles mögliche zu vereiteln, vier Jahre lang recht erfolgreich gewesen. Rohr behauptete, daß Cable und seine Mandantin abermals eine Verzögerung erreichen wollten, und forderte Richter Harkin wütend auf, Sanktionen gegen die Verteidigung zu verhängen. Der Krieg um Sanktionen, bei denen jede Seite Geldstrafen für die andere forderte, die der Richter bisher immer abgelehnt hatte, tobte schon fast seit dem Tag, an dem die Klage eingereicht worden war. Wie bei den meisten zivilrechtlichen Fällen kostete auch hier das Gerangel um Sanktionen fast ebensoviel Zeit wie das Thema, um das es eigentlich ging.
    Rohr tobte und stapfte vor der leeren Geschworenenbank herum, während er erklärte, daß dieser neueste Antrag der Verteidigung der einundsiebzigste war - »zählen Sie nach, einundsiebzig!« -, den die Tabakleute gestellt hatten, um Zeugenaussagen zu verhindern. »Es gab Anträge, die Aussage über andere durch das Rauchen verursachte Krankheiten auszuschließen, Anträge, Aussagen über Warnungen auszuschließen, Anträge, Aussagen über Werbung auszuschließen, Anträge, epidemiologische Untersuchungen und statistische Theorien als Beweismittel auszuschließen, Anträge, keine Hinweise auf von der Beklagten nicht genutzte Patente zuzulassen, Anträge, Beweismaterial über von der Tabakindustrie ergriffene nachträgliche oder Wiedergutmachungsmaßnahmen auszuschließen, Anträge, unser Beweismaterial zum Testen von Zigaretten auszuschließen, Anträge, Teile des Autopsieberichts nicht zuzulassen, Anträge, Beweise für die süchtigmachende Wirkung auszuschließen, Anträge…«
    »Ich habe diese Anträge gelesen, Mr. Rohr«, unterbrach ihn Seine Ehren, als es den Anschein hatte, als gedächte Mr. Rohr, sie alle aufzuzählen.
    Rohr ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Und, Euer Ehren, neben diesen einundsiebzig Anträgen - zählen Sie nach, einundsiebzig! - haben sie genau achtzehn Anträge auf Vertagung gestellt.«
    »Das ist mir bekannt, Mr. Rohr. Bitte fahren Sie fort.« Rohr ging zu seinem vollgepackten Tisch, wo ihm von einem Kollegen ein dicker Schriftsatz ausgehändigt wurde. »Und natürlich, Euer Ehren, wird jeder Antrag der Verteidigung von einem dieser verdammten Dinger begleitet«, sagte er laut und ließ dabei den Schriftsatz auf den Tisch fallen. »Wir haben, wie Sie wissen, nicht die Zeit, sie zu lesen, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, uns auf den Prozeß vorzubereiten. Die Verteidigung dagegen hat an die tausend Anwälte, die auf Stundenbasis abrechnen und auch jetzt an der Arbeit sind und sich, während wir hier reden, einen weiteren hirnverbrannten Antrag ausdenken, der zweifellos gleichfalls sechs Pfund wiegen und ebenso zweifellos noch mehr von unserer Zeit in Anspruch nehmen wird.«
    »Könnten wir zur Sache kommen, Mr. Rohr?« Rohr hörte ihn nicht. »Da wir nicht die Zeit haben, Euer Ehren, diese Papierberge zu lesen, wiegen wir sie einfach, und deshalb lautet unsere sehr knappe Erwiderung ungefähr so:
    ›Bitte lassen Sie diese kurzen Ausführungen als Erwiderung auf den viereinhalb Pfund schweren, wie üblich maßlos übertriebenen Schriftsatz der Verteidigung zur Begründung ihres neuesten, an den Haaren herbeigezogenen Antrags zu.‹«
    In Abwesenheit der Geschworenen waren Lächeln und gute Manieren und freundliches Benehmen allgemein vergessen. Die Anspannung war auf den Gesichtern aller Beteiligten deutlich sichtbar. Sogar das Gerichtspersonal und die Protokollantin wirkten gereizt.
    Rohrs legendäre Wut war am Kochen, aber er hatte schon vor langer Zeit gelernt, sie zu seinem Vorteil zu nutzen. Sein ehemaliger Freund Cable hielt Abstand, aber nicht den Mund. Die Zuschauer kamen in den Genuß eines ziemlich ungehemmten Schlagabtauschs.
    Um halb zehn ließ Seine Ehren Lou Dell eine Nachricht zukommen, sie solle den Geschworenen mitteilen, er wäre mit einem Antrag beschäftigt und das Verfahren würde in wenigen Minuten fortgesetzt werden, um zehn, wie er hoffe. Da dies das erste Mal war, daß die Geschworenen warten mußten, obwohl sie

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