Das Urteil
abhingen, wo der Mann auftauchte. Der Gerichtssaal war eine Überraschung, aber er brauchte nur eine Minute, um die Sachlage zu durchdenken. Richter Harkin mußte unbedingt erfahren, daß einer der Gauner, die ihm soviel Sorgen bereiteten, jetzt im Gerichtssaal saß und so tat, als wäre er nur ein müßiger Zuschauer wie die anderen auch. Harkin mußte das Gesicht sehen, damit er es später auf Video wiedererkennen würde.
Der erste Zeuge war Dr. Bronsky, jetzt an seinem dritten Tag, aber dem ersten im Kreuzverhör durch die Verteidigung. Sir Durr begann langsam und höflich, wie in Ehrfurcht vor diesem hervorragenden Experten, und stellte ein paar Fragen, die die meisten der Geschworenen hätten beantworten können. Dann aber nahmen die Dinge schnell eine andere Wendung. Mit Dr. Fricke war Cable sehr rücksichtsvoll umgegangen, mit Bronsky aber wollte er kämpfen.
Er begann mit den über viertausend im Tabakrauch identifizierten Verbindungen, griff scheinbar aufs Geratewohl eine heraus und fragte, welche Wirkung Benzpyren auf die Lungen hätte. Bronsky sagte, das wüßte er nicht, und versuchte zu erklären, daß sich der von einer einzigen Verbindung angerichtete Schaden unmöglich messen ließe. Wie stand es mit den Bronchien und den Schleimhäuten und den Zilien? Bronsky versuchte abermals zu erklären, daß es der Forschung unmöglich war, die Wirkung einer einzigen der in Tabakrauch enthaltenen Verbindungen zu bestimmen.
Cable ließ seine Fragen nur so niederprasseln. Er griff eine weitere Verbindung heraus und zwang Bronsky zu dem Eingeständnis, daß er den Geschworenen nicht sagen konnte, was sie in den Lungen, den Bronchien und den Schleimhäuten anrichtete. Jedenfalls nicht speziell.
Rohr erhob Einspruch, aber Seine Ehren wies ihn mit der Begründung ab, daß es sich um ein Kreuzverhör handele. Dem Zeugen konnte praktisch alles an den Kopf geworfen werden, was relevant oder auch nur halbrelevant war.
Doyle blieb auf seinem Platz in der dritten Reihe, schaute gelangweilt drein und wartete auf eine Gelegenheit zu verschwinden. Er hatte den Auftrag erhalten, nach der Frau Ausschau zu halten, etwas, das er bereits seit vier Tagen tat. Stundenlang hatte er im Foyer im Erdgeschoß herumgelungert. Er hatte einen ganzen Nachmittag damit verbracht, in der Nähe der Automaten auf einer Getränkekiste zu sitzen, sich mit einem Hausmeister zu unterhalten und dabei den Haupteingang im Auge zu behalten. Er hatte in den kleinen Cafés und Imbißstuben der näheren Umgebung literweise Kaffee getrunken. Er und Pang und zwei weitere hatten schwer gearbeitet, ihre Zeit vergeudet, aber ihren Boß zufriedengestellt.
Nachdem er vier Tage lang jeweils sechs Stunden an derselben Stelle gesessen hatte, wußte Nicholas so ziemlich, wie Fitchs Routine aussah. Seine Leute, Jury-Berater wie Handlanger, bewegten sich herum. Sie benutzten den gesamten Gerichtssaal, saßen in Gruppen beisammen oder einzeln. Sie benutzten kurze Unterbrechungen, um unauffällig zu kommen oder zu gehen. Sie sprachen nur selten miteinander. In der einen Minute richteten sie ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die Zeugen und die Geschworenen, in der nächsten lösten sie Kreuzworträtsel oder schauten aus dem Fenster.
Er wußte, daß der Mann bald verschwinden würde.
Er schrieb ein paar Worte, faltete den Zettel zusammen und bat Loreen Duke, ihn an sich zu nehmen, ohne ihn zu lesen. Während einer Pause im Kreuzverhör, in der Cable seine Notizen konsultierte, bat er sie dann, sich vorzulehnen und ihn Deputy Willis auszuhändigen, der an der Wand lehnte und die Fahne bewachte. Willis, plötzlich aufgeweckt, brauchte eine Sekunde, um zu sich zu kommen, dann begriff er, daß er den Zettel dem Richter aushändigen sollte.
Doyle sah, wie Loreen ihm den Zettel gab, aber er hatte nicht gesehen, daß er von Nicholas stammte.
Richter Harkin nahm den Zettel kommentarlos entgegen und schob ihn auf seinem Tisch in Griffweite. Cable feuerte gerade eine weitere Frage ab. Harkin entfaltete langsam den Zettel. Er kam von Nicholas Easter, Nummer zwei, und darauf stand:
Richter:
Der Mann in der dritten Reihe von vorn, linke Seite, am Mittelgang, weißes Hemd, blaugrüne Krawatte, ist mir gestern gefolgt. Es war das zweite Mal, daß ich ihn gesehen habe. Können wir herausfinden, wer er ist?
Nicholas Easter Seine Ehren sah Durr Cable an, bevor er sich den Zuschauer ansah. Der Mann saß für sich allein und starrte zum Richtertisch empor, als wüßte er, daß ihn
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