Das Urteil
kleine Gerüchte über den Verstorbenen, Schlechtigkeiten, die er begangen hat, als er noch lebte. Sie sind ständig auf der Suche nach einem schwachen Punkt. Und das ist der Grund dafür, daß sie noch nie einen Prozeß verloren haben.«
»Woher wissen Sie, daß es die Tabakkonzerne sind?« fragte der Pudel und zündete sich eine weitere Zigarette an.
»Ich weiß es nicht. Aber sie haben mehr Geld als die Klägerseite. Ihnen stehen für diese Falle sogar unbegrenzte Mittel zur Verfügung.«
Jerry Fernandez, immer bereit, mit einem Witz zu helfen oder bei einem Gag mitzumachen, sagte: »Wenn ich mir's recht überlege - ich erinnere mich an einen merkwürdigen kleinen Typ, der mich an diesem Wochenende um eine Ecke herum belauert hat. Habe ihn mehr als einmal gesehen.« Er warf Nicholas einen beifallheischenden Blick zu, aber Nicholas beobachtete Stella. Jerry zwinkerte dem Pudel zu, aber sie bemerkte es nicht.
Lou Dell klopfte an die Tür.
Keine Gelöbnisse oder Nationalhymnen am Montag morgen. Richter Harkin und die Anwälte warteten, bereit, beim geringsten Hinweis darauf, daß die Geschworenen in der Stimmung dazu sein sollten, mit ungehemmtem Patriotismus aufzuspringen, aber nichts passierte. Die Geschworenen ließen sich auf ihren Plätzen nieder, anscheinend schon jetzt ein wenig erschöpft und resignierend beim Gedanken an eine weitere lange Woche voller Zeugenaussagen. Harkin begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln, dann stürzte er sich in seinen Standardmonolog über verbotene Kontakte. Stella schaute wortlos auf den Boden. Cal beobachtete sie von der dritten Reihe aus, bereit, ihr zu Hilfe zu kommen. Scotty Mangrum erhob sich und teilte dem Gericht mit, daß die Anklage gern mit der Vernehmung von Dr. Hilo Kilvan fortfahren würde, der geholt und wieder in den Zeugenstand beordert wurde. Er nickte den Geschworenen höflich zu. Niemand erwiderte seinen Gruß.
Für Wendall Rohr und das Team der Anklage hatte das Wochenende keine Ruhepause mit sich gebracht. Der Prozeß allein stellte schon genug Anforderungen, aber die Ablenkung durch das Fax von MM am Freitag hatte jeden Anschein von Ordnung vernichtet. Sie hatten seinen Ursprung zu einer Raststätte in der Nähe von Hattiesburg zurückverfolgt, und nachdem er ein bißchen Geld bekommen hatte, hatte ein Angestellter die vage Beschreibung einer jungen Frau geliefert, Ende Zwanzig, vielleicht Anfang Dreißig, mit dunklem, unter einer braunen Anglermütze verstecktem Haar und einem halb von einer dunklen Sonnenbrille verdeckten Gesicht. Sie war klein, aber vielleicht auch mittelgroß. Vielleicht einsfünfundsechzig oder einsachtundsechzig. Sie war schlank, das war sicher, aber schließlich war es an einem Freitag morgen vor neun gewesen, eine Zeit, wo es immer besonders hektisch zuging. Sie hatte fünf Dollar für ein einseitiges Fax an eine Nummer in Biloxi bezahlt, eine Anwaltskanzlei, was dem Angestellten merkwürdig vorgekommen war, und deshalb erinnerte er sich daran. Bei den meisten ihrer Faxe ging es um Tankgenehmigungen oder spezielle Ladungen.
Keinerlei Hinweise auf ihren Wagen, aber schließlich war der Parkplatz voll gewesen.
Alle acht Hauptanwälte der Anklage, eine Gruppe mit insgesamt 150 Jahren Prozeßerfahrung, waren sich darin einig, daß das etwas völlig Neues war. Keiner von ihnen konnte sich an einen einzigen Prozeß erinnern, bei dem eine außenstehende Person den beteiligten Anwälten Hinweise darauf geliefert hatte, was die Geschworenen tun würden. Sie waren sich auch einig in der Überzeugung, daß sie, MM, sich wieder melden würde. Und obwohl sie es anfangs abstritten, gelangten sie im Laufe des Wochenendes widerstrebend zu der Schlußfolgerung, daß sie vermutlich Geld fordern würde. Ein Hand el. Geld für ein Urteil.
Sie brachten jedoch nicht den Mut auf, eine Strategie zu planen, wie sie reagieren würden, wenn sie verhandeln wollte. Später vielleicht, aber jetzt noch nicht.
Fitch dagegen dachte an kaum etwas anderes. Im Fonds standen gegenwärtig sechseinhalb Millionen Dollar zur Verfügung, von denen zwei für die restlichen Prozeßkosten vorgesehen waren. Das Geld war verfügbar und sehr mobil. Er hatte das Wochenende damit verbracht, sich die Geschworenen abermals anzusehen, sich mit Anwälten zu treffen und die Ansichten seiner Jury-Experten anzuhören, und er hatte geraume Zeit mit D. Martin Jankle von Pynex am Telefon verbracht. Er war zufrieden mit der Show, die Ken und Ben in Charlotte abgezogen
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