Das Urteil
Hoffnung, daß wir am Schluß auf etwas Handfestes verweisen können. Bei Fällen, wo der Betreffende vor langer Zeit gestorben ist, kann das Rätsel ziemlich kom pliziert werden. Ich schätze mal, daß ich das meine, wenn ich von interessant spreche.«
Freeman, der allem Anschein nach ganz fasziniert war, hatte sich inzwischen dem Zeugen stand ein ganzes Stückchen genähert. »Was denn für Komplikationen, Dr. Strout?«
»Nun ja, die Leiche verwest, das ist das eine. Bestimmte Substanzen werden abgebaut - chemisch, meine ich - oder verwandeln sich in etwas anderes oder verschwinden vollständig. Verflüchtigen sich. Natürlich ist es im Laufe der Zeit so, daß man irgendwann beinahe nichts mehr auffinden kann.«
»Und das war bei Mr. Hollis passiert?«
»Tja, in bestimmtem Maße ja.«
»Und doch war dies ein besonders interessantes ... Rätsel, so haben Sie es doch, glaube ich, genannt.«
Der Gerichtsmediziner nickte. »Aus dem Grunde, weil wir ja annahmen, daß es noch ein weiteres Gift gab, und wir es finden mußten - nicht nur die Substanz als solche, sondern auch den Weg, wie sie in den Körper gekommen war.« Strout, der ideale Zeuge, saß jetzt wieder vorne auf der Kante seines Stuhls, wendete sich direkt an die Geschworenen. »Bei der ersten Autopsie«, erklärte er, »hatten wir selbstverständlich den Mageninhalt und so weiter untersucht, aber jetzt waren wir darauf aus, zu schauen, ob wir beim ersten Mal etwas übersehen hatten, also versuchten wir es noch mal. Aber da fand sich nicht viel. Auch wenn die Untersuchung die ursprüngliche Spur Atropin nachwies, fand sich nirgends eine Konzentration, die auch nur annähernd tödlich gewesen sein konnte.«
»Und Ihr nächster Schritt?«
Hardy schaute kurz zu den Geschworenen hinüber. Das war ein schauerliches Thema, niemand hielt ein Nickerchen. Strout redete weiter, legte Begeisterung für seine Arbeit an den Tag. »Genau da wird das Rätsel interessant. Wenn es sich um einen kürzlich erfolgten Tod handelt, fänden sich vielleicht ein paar Nadelstiche, Abschürfungen und so weiter, aber hier entnahmen wir an verschiedenen Stellen Gewebeproben in der Hoffnung, eine hohe Konzentration zu finden, und wir hatten Glück.«
»Wie kam das?«
Strout verlor sich in fachspezifischen Anmerkungen zu Muskelnamen und so fort, aber Freeman brachte ihn wieder aufs richtige Gleis, und Strout machte deutlich, daß die Injektion an der Vorderseite des linken Oberschenkels erfolgt war, und zwar etwa zwei Drittel der Schenkellänge oberhalb des Knies.
»Sie sind sich sicher, daß es die Vorderseite des Oberschenkels war? Es hätte sozusagen nicht von der Rückseite her durchsickern können?«
Strout war sich sicher. »Das ist ausgeschlossen. Es gibt keine Verbindung zwischen den Muskeln.« Es folgten noch weitere medizinische Details, aber nach und nach schälte sich das Bild heraus - die tödliche Injektion war ziemlich hoch oben im Oberschenkel erfolgt.
Hardy schien das eine sehr umständliche Reise zu sein, um etwas herauszufinden, was sie bereits wußten. Bis Freeman seine Frage stellte: »Diese Stelle am Oberschenkel, könnte sich jemand dort eigenhändig eine Injektion verpassen?«
Nicht aus der Ruhe zu bringen und freundlich antwortete Strout, daß das selbstverständlich kein Problem sei.
»Fand sich denn irgend etwas bei Ihrer Untersuchung, das darauf hinwies, daß die Injektion nicht eigenhändig vorgenommen worden war?«
»Wie zum Beispiel?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ein Kratzer, wo Ned den Nadeleinstich abzuwehren versucht hatte. Überhaupt irgendwas.«
Strout dachte nach. »Nach der langen Zeit? Nein, nichts.«
Freeman ging hinüber zu dem Tisch, auf dem die Beweisstücke lagen, und hob das Beweisstück Nummer 5 der Anklagevertretung hoch, den ursprünglichen Autopsiebericht. »Haben Sie denn vor neun Jahren irgend etwas bemerkt, Dr. Strout, das dagegen gesprochen hätte, daß sich Mr. Hollis eigenhändig die Injektion verpaßt hat?«
Strout las sich die Seite durch und reichte sie dem Anwalt zurück. »Nein. Aber natürlich gab es Spuren - Nadeleinstiche.«
»Es gab Nadeleinstiche? Und wo waren die, Dr. Strout?«
»Innen an den Armen.«
»Paßte das zu den Stellen, an denen sich ein Drogensüchtiger eine Injektion setzen könnte?«
» Ja. «
»Haben Sie irgendwelche Nadelstiche an den Oberschenkeln bemerkt?«
Wieder zog Strout das Beweisstück Nummer 5 der Anklage, seinen früheren Autopsiebericht, zu Rate. »Nein, nicht, daß ich es
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