Das Urteil
Gericht gehen. Die Richterin kann es nicht leiden, wenn man zu spät kommt.«
John Strout, der amtliche Leichenbeschauer der Stadt und des County San Francisco, war für Hardy und jeden anderen im Gerichtssaal, der im Polizei- und Justizapparat tätig war, eine vertraute Figur. Der hochangesehene Gerichtsmediziner mit seinem Südstaatenakzent war eine Autorität mit bundes weitem Renommee und bei fast jedem Prozeß und jeder An hörung vor der Grand Jury oder dem Haftrichter in Erschei nung getreten, bei denen es um einen Mord ging, der in San Francisco begangen worden war - also vielleicht einmal pro Woche in den letzten dreizehn Jahren -, und jetzt nahm er, ein großer und schlanker Mann, im Zeugenstand Platz, saß bequem und entspannt da.
Powell, der keinerlei Anzeichen für Müdigkeit nach der Mittagspause zeigte, fuhr sich mit den Fingern durch die weiße Mähne und begrüßte Strout herzlich als alten Freund, damit es die Geschworenen auch mitbekamen. Dann kam er ohne Umschweife zur Sache und kam dem zuvor, was Free man, wie Hardy vermutete, im Kreuzverhör gefragt hätte.
»Dr. Strout, haben Sie damals im Jahre 1984 die erste Autopsie an Ned Hollis durchgeführt?«
» Ja. «
»Und was haben Sie damals herausgefunden?«
Strout rückte seinen Stuhl im Zeugenstand etwas weiter nach hinten und schlug die Beine übereinander, zauberte ein Lächeln auf sein breites und offenes Gesicht. »Wir haben eine Analyse auf dem Niveau A durchgeführt und kamen zu dem Ergebnis, daß es sich um einen Unfalltod infolge einer Über dosis von Kokain in Verbindung mit Alkohol gehandelt hat.«
»Eine Analyse auf dem Niveau A? Würden Sie den Ge schworenen bitte erklären, was das ist?«
Strout beugte sich vor und spulte seine auf zwei Minuten verknappte Erklärung ab - die Mahlzeit der Gifte und/oder flüchtigen Verbindungen konnte in einer Analyse auf dem Niveau A nachgewiesen werden, und das war die schnellste und auch billigste Untersuchung. Wenn auf besagtem Niveau A eine Todesursache festgestellt wurde - und sofern kein Polizeibericht den Verdacht nahelegte, daß irgend etwas faul war -, dann beließ man es in der Regel bei dieser Unter suchung.
»Und die Analyse auf dem Niveau A fand Spuren von Kokain und Alkohol im Organismus von Mr. Hollis, ist das richtig?«
Strout runzelte die Stirn. Es war nicht seine Aufgabe, es der Jury einfach zu machen. Bei diesem Prozeß war ohnehin bereits im Protokoll festgehalten, daß er damals die wahre Todesursache nicht bemerkt hatte, und daher wollte er seine Antwort präzise halten. »Es fand sich eine potentiell tödliche Konzentration von Koka-Ethylen, was sich etwas kompliziert anhört, aber im Grunde handelt es sich um das Nebenpro dukt, das entsteht, wenn sich Kokain und Alkohol im Blut mischen.«
»Und als Sie festst ellten, daß dieses Koka-Ethylen vorhanden war, haben Sie die Autopsie abgebrochen?«
»Naja, nein. Aber wir haben aufgehört, uns intensiv um die Suche nach einer Todesursache zu kümmern. Wenn ein Mann ein Messer im Kopf stecken hat, dann schauen wir nicht not wendigerweise nach, ob er gleichzeitig noch einen Herzanfall hatte.« Man hörte kurzzeitig leises Lachen. »Aber wir haben die Autopsie nicht endgültig mit diesem Befund abgeschlos sen. Tatsächlich sind die Labortests und die Untersuchung der Leiche verwandte, aber jeweils separate Vorgänge.«
Strout erklärte, daß die Blutproben ins Labor geschickt wurden, wohingegen die eigentliche Autopsie das Augenmerk auf den Körper und die Organe richtete. »Wenn wir die Ergebnisse des Labors bekommen, prüfen wir nach, ob irgend etwas, das wir bei der Untersuchung der Leiche entdeckt haben, die Laborresultate in neuem Licht erscheinen läßt und umgekehrt.« »Und in diesem Fall ?«
»Na ja, wir haben das Koka-Ethylen nachgewiesen. Es fanden sich keine nennenswerten Mengen oder physikalischen Anzeichen für das Vorhandensein von Barbituraten oder Alkaloiden. Also hatten wir eine wahrscheinliche Todesursache auf dem Niveau A und ließen es dabei bewenden.«
Powell nickte Strout zu und sah dann erst die Geschworenen an, dann hinüber zum Tisch der Verteidigung, wobei er wieder den Augenkontakt mit Jennifer suchte. Hardy schielte aus dem Augenwinkel zu ihr hinüber. Lächelte sie etwa ihren Ankläger an? Er faßte sie am Arm, und sie verkrampfte sich, ihr Gesicht wurde wieder zu einer starren Maske.
Die Befragung durch den Staatsanwalt verlief ohne irgendwelche Überraschungen. Sowohl die Anklagevertretung
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