Das Urteil
sammeln. »Lassen Sie uns weitermachen. War da sonst irgendwas an diesem Morgen, sonst irgendwer, der Sie vielleicht gesehen haben könnte?«
»Aber dieser Mann da, er könnte doch vielleicht ...«
Hardy tätschelte ihr die Hand, hielt sie auf dem Tisch fest. »Lassen Sie uns über was anderes reden, abgemacht?«
Sie zog die Hand weg. »Sie müssen mir glauben, ich habe das nicht getan. Falls es dieser Mann da gewesen ist...«
»Falls es dieser Mann gewesen ist«, sagte er. »Es könnte durchaus so jemand im Spiel sein, das stimmt schon, womöglich hat er sogar Larry erschossen, aber vielleicht war der Mann auch einfach irgendwer - ein Nachbar, ein Tourist, irgendein Typ, der bloß ein bißchen herumspazierte.«
Ihre Augen funkelten ihn an. »Er hatte die Hand in der Hosentasche, beide Hände. Vielleicht hatte er ja eine Waffe in der Hand.«
Hardy hätte um ein Haar erwidert: Wenn wir einmal davon absehen, versteht sich, daß Ihr Mann mit seiner eigenen Waffe erschossen worden ist. Er verkniff sich das. »Machen wir mal kurz Pause. Schauen Sie, wir sind doch nicht hier, um uns zu streiten. Wir kommen später wieder auf den Mann zurück. Fürs erste müssen wir uns anderen Themen zuwenden, er wird uns nicht helfen, es sei denn, er wohnt in Ihrer Nähe, und wir können ihn ausfindig machen. Jetzt im Augenblick versuche ich, irgendwas zu finden, an dem wir Ihre Verteidigung aufhängen können, und der Kerl da bringt's einfach nicht.«
Ihr Gesicht sank bis auf den Tisch hinunter, hinein in den Kreis, den ihre Arme bildeten. Ihr Körper zitterte, als sie ihre Stirn hin und her rollte.
»Haben Sie beim Laufen irgend etwas Ungewöhnliches gemacht? Irgend etwas, das Sie vielleicht bereits den Polizisten erzählt haben? Oder vergessen haben, ihnen zu erzählen??«
Sie hörte auf, hin und her zu zappeln. Als müßte sie gegen sein Gewicht ankämpfen, hob sie den Kopf und seufzte erneut. »Die Polizisten haben mir keine derartigen Fragen gestellt«, sagte sie. »Ich hatte nicht angenommen ... ich meine, ich hatte keine Ahnung, daß ich in ihren Augen als Tatverdächtige galt. Man hat mich an der Nase herumgeführt, hat mir nie so eine Frage gestellt.«
Hardy sagte ruhig: »Ich stelle sie jetzt, in Ordnung? Lassen Sie uns versuchen, irgend etwas in die Hand zu bekommen.«
Jennifer nickte und erinnerte sich dann daran, daß sie beim Geldautomaten ihrer Bank in der Haight Street haltgemacht hatte. Was Hardy merkwürdig vorkam. »Sie sind zum Laufen los und haben zufällig Ihre Scheckkarte für den Geldautomaten dabeigehabt?«
»Was ist daran so komisch?« Und sie erklärte, daß die meisten ihrer Laufanzüge Taschen mit Klettverschlüssen hatten und sie sich ganz selbstverständlich ihren Hausschlüssel und die Geldbörse für Kleingeld - in der sie die Scheckkarte aufbewahrte - schnappte, sobald sie aus dem Haus ging. Sie erzählte Hardy, daß sie an jenem Morgen bis zur nächsten Ecke spaziert und dem Mann im Trenchcoat begegnet sei, dann ein paar Querstraßen weit gerannt sei und haltgemacht habe, um Geld zu ziehen - »Es war der Montag nach Weihnachten, wir waren drei Tage lang nicht auf der Bank gewesen.«
Zumindest war das ein Anfang.
In mancher Hinsicht war es für Hardy leichter, Jennifer Witt, also der Mandantin, seine Rolle in ihrem Fall zu erklären als seiner Frau.
Nach dem erfolgreichen Abschluß seines ersten Mordprozesses - in dem er Andy Fowler verteidigt hatte, einen vormaligen Richter beim Superior Court - war Hardy überrascht gewesen, daß er in der kleinen Welt der Juristenszene von San Francisco mit einemmal einiges Kapital verkörperte. Strafverteidiger, die bei Gericht auftraten - Männer und Frauen, die vor einer Geschworenenbank eine gute Figur machten -, waren, wie es aussah, sehr gefragt. Selbst bei den großen Anwaltskanzleien ruhte das endgültige Ergebnis der immensen Arbeit, die ganze Bürofluchten voller Erbsenzähler und Zahlenfuchser, Leseratten, Schriftsatzformulierer und Strategieplaner, Anwaltsgehilfinnen und sonstigem Büropersonal geleistet hatten, oft genug auf den Schultern der Person in der Sozietät, die das alles vor einem Richter oder einer Geschworenenbank oder vor beidem überzeugend darzulegen verstand.
Da die Mehrzahl der Anwälte in den großen Kanzleien nur selten, falls überhaupt jemals, einen Gerichtssaal von innen zu Gesicht bekam, heuerten viele Kanzleien Strafverteidiger, die vor Gericht auftraten, nach demselben Muster an, wie Baseballmannschaften Spieler
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