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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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beinahe unter ihm - an der Ecke von 7th Street und Bryant ist ein grauer Monolith von überwälti gender Unpersönlichkeit. In den unteren Stockwerken sind verschiedene Behörden der Stadt und des County unterge bracht, darunter die Polizei und der für die Leichenbeschau zuständige Coroner, die Staatsanwaltschaft sowie Gerichtssäle und Warteräume für die Verfahren zur Auswahl von Ge schworenen. Das Gefängnis, das sich im fünften und sechsten Stock befindet, untersteht dem San Francisco County Sheriff und nicht etwa der Stadtpolizei. Hinter dem Gebäude wächst auf einem ehemaligen Parkplatz langsam das neue Gefängnis in die Höhe.
    Hardy betrat den Bau durch den Hintereingang, passierte den Metalldetektor, stieg dann, nachdem er beschlossen hatte, den langsamsten Aufzug Amerikas nicht zu benutzen, durchs Treppenhaus hoch bis in den zweiten Stock und befand sich schon mitten in dem vertrauten Tohuwabohu, das in dem hohen und weitläufigen Flur herrschte.
    Neben dem üblichen Zirkus war die besondere Attraktion dieses Vormittags eine Versammlung von rund zwanzig Roma. Polizeibeamte in Uniform redeten eindringlich auf mehrere Frauen ein, die Benutzung eines Butangaskochers, mit dem diese ihren Kaffee kochen wollten, zu unterlassen. Hardy fragte sich zunächst einmal, wie es ihnen gelungen sein mochte, eine Gasflasche durch den Metalldetektor zu schleusen, und sah dann eine Zeitlang dem Spektakel zu, wie so oft fasziniert von der kunterbunten Mischung, die man in den grüngetünchten Fluchten dieses Amtsgebäudes fast täglich zu Gesicht bekam.
    Es schien eine vernünftige Diskussion zu sein - bis jetzt hatte noch niemand angefangen, laut loszuzetern. Doch ebensowenig war die Flamme unter dem Kaffeetopf erloschen. Während eine Frau mit der Streiterei beschäftigt war, goß eine zweite Flüssigkeit in kleine Porzellanschälchen und reichte sie an ein paar Männer weiter, die sich Zuckerklumpen in den Mund steckten, bevor sie an dem Getränk zu nippen begannen.
    »Man sollte einfach eine Fernsehkamera aufbauen und diesen Flur live übertragen.« Es war David Freeman, der wie üblich einen zerknautschten, billigen Anzug von der Stange anhatte und aussah, als hätte er eine Woche lang nicht geschlafen. »Brächte wahrscheinlich eine Einschaltquote von dreißig Prozent.«
    Hardy zeigte um sich. »Man brauchte einen Kommentator, der erklärt, was passiert. Hier zum Beispiel« - er zeigte auf die Szene - »ist es ein bißchen zweideutig.«
    Freeman ließ sich den Gedanken durch den Kopf gehen. »Das mit dem Moderator ist eine gute Idee. Vielleicht könnten das reihum die Richter übernehmen, wie sie es mit dem Geschäftsplan machen. » Diese Woche ist laut Geschäftsplan Marian Braun zuständig, und hier im Flur, meine Damen und Herren, live übertragen, sehen Sie den Richter Oscar Thomasino!«
    Sie machten sich auf den Weg in die Kammer 22, zu dem Gerichtssaal, wo Jennifer Witt in einer Stunde dem Haftrichter vorgeführt werden sollte. Das war auch die gesamte Zeitspanne, die Freeman vorgesehen hatte, um sich über die Einzelheiten des Falles informieren zu lassen. Es hatte keinen Zweck, Zeit zu verplempern. »Wie sieht's aus?« fragte er.
    »Sie wollen die Todesstrafe beantragen.«
    »Todesstrafe. Powell sollte losziehen und sich ein paarmal zu den Zeugen vor der Gaskammer stellen, das würde ihn ein bißchen bremsen.«
    »Powell findet vielleicht Gefallen daran, wenn Sie mich fragen.«
    Freeman war der Meinung, darüber lasse sich streiten. Er hatte sechs Hinrichtungen in mehreren Staaten als Zeuge beigewohnt - kein Mensch, der bei Trost war, konnte Gefallen daran finden, und er hatte nicht den Eindruck, daß Powell verrückt sei. Ganz und gar nicht.
    »Na ja, sie machen in zweifacher Hinsicht besondere Umstände geltend - mehrfacher Mord und Tötung aus Gewinnsucht. Wissen Sie, daß sie drei Fälle vorbringen wollen?«
    »Drei?«
    Wie Hardy war auch Freeman überrascht, als er von dem letzten Anklagepunkt gegen Jennifer erfuhr, daß sie vor neun Jahren Ned Hollis, ihren ersten Ehemann, ermordet haben sollte. »Das heißt doch, ziemlich alte Kamellen ans Licht zu holen, meinen Sie nicht auch?«
    »Sie lesen sich besser die Akte durch.«
    Sie kamen zu der massiven, vier Meter hohen, zweiflügeligen Holztür, die in den Gerichtssaal von Richter Oscar Thomasino, Kammer 22, führte.
    »So schlimm?«
    »Zumindest haben sie einige Anhaltspunkte. Es ist jedenfalls nicht an den Haaren herbeigezogen. Aber sie sagt, daß sie

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