Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
Vom Netzwerk:
Versäumnis, das bereits an sich berechtigte Zweifel aufkommen läßt.«
    »Zweitens.« Ein weiterer Finger. »Und das ist ebenso entscheidend. Die Anklage hat überhaupt kein Motiv, keine Theorie, keine vernünftige Hypothese dafür geliefert, warum der junge Matthew Witt erschossen wurde. Sie werden schlicht dazu aufgefordert zu glauben, daß Jennifer Witt aus irgendeinem unbekannten Grund ihr einziges Kind erschossen haben soll. Es hat jedoch niemand versucht zu beweisen, daß sie es getan hat, oder aus welchem Grund.«
    Jennifer reagierte noch immer auf jede Erwähnung Matts mit Bestürzung. Sie ließ einen Augenblick lang den Kopf sinken, atmete tief durch und schluckte schwer. Sie griff nach dem Glas und trank ein wenig Wasser.
    »Drittens. Die erste Zeugin, die Mrs. Witt zum Zeitpunkt der Schüsse überhaupt auch nur in die Nähe des Tatorts rückte - das war Mrs. Barbieto, Sie werden sich an sie erinnern - war sich nicht einmal annähernd sicher, was die Zeitspanne betrifft, die zwischen dem Moment verging, als sie Jennifer nebenan hörte, und dem Zeitpunkt, als die Schüsse fielen. Es können fünfzehn Minuten gewesen sein. Mit ziemlicher Sicherheit ist es tatsächlich so gewesen.
    Viertens sagt Mr. Alvarez aus, daß er gesehen hat, wie Mrs. Witt innerhalb einer Minute nach den Schüssen von ihm weg die Straße hinuntergelaufen ist. Eine Minute. Erinnern wir uns noch einmal an die Aussage von Mr. Alvarez über diese berühmte eine Minute. Er sagte aus, daß er direkt vom Bett seiner Frau zum Fenster am vorderen Ende des Korridors ging, das zum Olympia Way hinausschaut, eine Distanz von vielleicht sieben Metern. Und da stand Jennifer Witt - innerhalb dieser knappen Minute oder sogar weniger - bereits draußen vor dem Tor zu ihrem Haus und blickte zurück.«
    Dies war mittlerweile klar genug, dachte Hardy. Und es war ein ganz zentraler Punkt. Selbst wenn sie gelaufen war, hätte Jennifer es in dem Zeitraum, den Alvarez brauchte, um sieben Meter zurückzulegen, nicht von ihrem Schlafzimmer - wo die Morde stattgefunden hatten - die Treppe hinunter und durchs Wohnzimmer, raus aus der Haustür, den Gehweg entlang und hinaus bis vor das Tor geschafft, das sie ja auch noch zu machen mußte, ehe sie sich umdrehte.
    Freeman legte eine kurze Pause ein, damit seine Worte Wirkung zeigen konnten. Er war jetzt ruhiger, vertraute den Tatsachen, die er angeführt hatte. »Lassen Sie uns zur Identifizierung Jennifer Witts durch Mr. Alvarez übergehen. Ich behaupte ja gar nicht, daß er Mrs. Witt nicht eindeutig identifiziert hat - das hat er. Ich bitte Sie je doch zu bedenken, wie er sich so sicher sein konnte, wenn er gleichzeitig einräumt, daß er ihr Gesicht nicht gesehen hat. Das ist ein verdammtes Zauberkunststück.«
    Villars runzelte angesichts dieser leichten Entgleisung die Stirn, ließ Freeman jedoch - was erneut überraschend war - ohne Unterbrechung fortfahren.
    »Lassen Sie uns als nächstens - da es die Vertreter der Anklage dermaßen beeindruckte, als es herauskam - einen Augenblick über die unterstellte intime Beziehung Mrs. Witts zu ihrem Psychiater reden. Dr. Lightner hat diese Beziehung unter Eid abgestritten. Nun mögen Sie skeptisch bleiben, aber lassen Sie nicht außer acht, daß die Ansicht von Inspector Terrell, die beiden hätten ein Verhältnis, sich als reine Spekulation herausstellte. Das bedeutet, daß diese unterstellte Beziehung, juristisch betrachtet, in keiner Weise bewiesen wurde. Gibt es irgendeinen Beweis dafür, daß Mrs. Witt und ihr Psychiater zu irgendeinem Zeitpunkt intim miteinander waren? Die Antwort lautet erneut Nein.« Er machte eine Pause, senkte die Stimme. »Nein. Keinen einzigen.« Und nach der Unterredung mit Lightner konnte Freeman dies mit voller Überzeugung behaupten.
    Freeman ging zum Tisch der Verteidigung und trank einen Schluck Wasser. Er hob kurz die Augen und blickte in den Zuschauerraum, um zu sehen, ob man ihm auch dort noch folgte. Zufrieden oder jedenfalls mit einem Nicken, als wäre er es, wandte er sich wieder der Geschworenenbank zu und hob erneut einen Finger.
    »Nichtsdestotrotz, auch wenn wir überhaupt nichts beweis en müssen, werden wir Ihnen demonstrieren, wie leicht Mr. Alvarez sich getäuscht haben könnte - innerhalb dessen, was man unter einem berechtigten Zweifel versteht -, wie er sich also getäuscht haben könnte und in der Tat getäuscht hat, was seine Identifizierung von Mrs. Witt als der Frau anbelangt, die nach den Schüssen die Straße

Weitere Kostenlose Bücher