Das Urteil
Reeds zu tun, aber Freeman glaubte, er habe einen Weg gefunden, sein Ziel zu erreichen, und er wollte sich von e inem dermaßen geringfügigen Punkt nicht weiter beunruhi-8en lassen. Sein Gesicht nahm den Ausdruck großer Verwirrung an. »Ms. Reed, lassen Sie uns einen Moment diese Karte betrachten. Sie haben vielleicht gehört, daß Officer Gage am Freitag ausgesagt hat, daß Ihre Zweigstelle 1,7 Meilen vom Haus der Witts entfernt liegt.
» Ja. «
Freeman runzelte weiterhin die Stirn, versuchte, das Ganze auf die Reihe zu kriegen. »Er sagte 1,7 Meilen. Erscheint Ihnen das richtig?«
»Euer Ehren ...« Powell erhob sich. »Wir werden keine Einwände dagegen erheben, daß die rote Linie 1,7 Meilen ent spricht.«
»Bleiben Sie bei der Sache, Mr. Freeman«, sagte Villars ein wenig zweideutig. »Worauf wollen Sie hinaus?«
Nun war das Tor geöffnet, und Freeman lächelte. »Es ist mir ein Vergnügen, das zu erklären, Euer Ehren.« Er wandte sich wieder Ms. Reed zu. »Sie sagten, daß Mrs. Witt exakt um 9 Uhr 43 Geld von ihrem Bankkonto abhob?«
»Das stimmt.«
»Nun, wir haben gehört, wie eine Zeugin - Mrs. Barbieto -ausgesagt hat, daß Mrs. Witt zu Hause war, daß sie sie gehört hat, und zwar ein paar Minuten, bevor sie um 9 Uhr 40 die Polizei anrief. Ich frage mich also, ob Sie sich in bezug auf die Zeit sicher sind.«
»Es war um 9 Uhr 43«, sagte Ms. Reed. Sie war gut gekleidet, selbstsicher, guten Mutes. Eine gute, glaubwürdige Zeugin mit einem Dokument als zusätzlichem Beleg - dem Computerausdruck, der den exakten Zeitpunkt nachwies, a n dem Jennifer Geld von ihrem Konto abgehoben hatte. Näm lich um 9 Uhr 43.
»Mit anderen Worten, Ms. Reed, nur um sicherzugehen, und, Euer Ehren« - Freeman lächelte zum Tisch der Richterin hinauf- »dies ist der Punkt, auf den ich hinauswill. Wir gehen also davon aus, daß Jennifer Witt um 9 Uhr 38 zu Hause war, nämlich in den Worten Mrs. Barbietos ein paar Minuten, bevor sie um 9 Uhr 40 die 911 wählte, und wir sollen glauben, daß sie fünf Minuten später vor dem Geldautomaten stand und eine Entfernung von 1,7 Meilen zurückgelegt hatte?«
Es funktionierte prächtig. Die Jurymitglieder waren davon genau so nachhaltig beeindruckt, wie Hardy es gehofft hatte. Hinter sich vernahm er ein überaus angenehmes, leises Ge murmel im Gerichtssaal. Sogar Villars, die im Kopf nachgerechnet hatte, schien beeindruckt zu sein. Es war ja vielleicht doch noch nicht alles verloren.
Die Anklage mußte sich entscheiden - entweder hatte Jennifer das Haus vor den Schüssen verlassen, in dem Fall konnte sie die Morde offensichtlich nicht begangen haben, oder sie war erst später losgelaufen, in dem Fall hätte sie es nicht bis zur Bank geschafft. Aber sie hatte es bis zur Bank geschaf ft. Also hatte sie niemanden umgebracht.
»Tatsache ist also folgendes«, fuhr Freeman fort, »selbst wenn Mrs. Barbieto nach den Schüssen zehn Minuten gebraucht hat, bevor sie die 911 anrief, dann ergibt das für Jennifer 9 Uhr 30. Aber die Schüsse wurden nicht um 9 Uhr 30 abgegeben, denn der Fahrer des Federal Express, Fred Rivera, war mindestens bis 9 Uhr 31 bei den Witts.«
Freeman war voll in Fahrt und gab in seiner Begeisterung ein Schlußplädoyer von sich, und aus irgendeinem Grund ließ Dean Powell das zu. Hardy blickte hinüber zum Tisch des Staatsanwalts, und sein Magen zog sich zusammen. Der Mann lächelte.
Auch die Richterin ließ Freeman gewähren. Er redete einfach ohne Punkt und Komma weiter, widmete der Zeugin keinerlei Aufmerksamkeit mehr, sondern sprach direkt zu den Jurymitgliedern. »Lassen Sie uns sogar rein theoretisch einmal annehmen, daß Jennifer zu Hause war, oben im ersten Stock, als Fred Rivera das Paket abgab. Und lassen Sie uns annehmen, daß Larry und Matt binnen einer Minute danach, also um 9 Uhr 32, erschossen wurden. Falls Jennifer Witt das Haus verließ, wie Anthony Alvarez ausgesagt hat, würde sie dennoch 1,7 Meilen in zehn Minuten zurückgelegt haben müssen. Das ist ein Tempo von mehr als sechs Minuten pro Meile, d.h. selbst für einen durchtrainierten Athleten ein knallharter Sprint. Jennifer Witt kann das einfach unmöglich geschafft haben.«
Villars, die einen Moment lang von Freemans Redefluß ge bannt gewesen war, kam wieder zu sich. Sie warf Powell einen strengen Blick zu, zweifellos, dachte Hardy, weil sie sich fragte, warum Powell der Verteidigung das durchgehen ließ, ohne Einspruch zu erheben. Doch der Staatsanwalt reagierte nicht auf ihren Blick.
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