Das Urteil
Freeman ging zu seinem Stuhl zurück, und Powell erhob sich ganz entspannt, strich sich über das Jackett, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare - ein Mann auf dem Weg zu einer Party.
»Ms. Reed«, begann Powell. »Wissen Sie, ob die Uhr in Ihrem Geldautomaten auch richtig geht?«
Hardy beugte sich über Jennifer. »Er weiß es«, flüsterte er Freeman zu. »Wie ist das nur möglich?«
Freeman schüttelte den Kopf, kniff die Lippen zusammen. Jennifer sagte: »Was?« und er tätschelte ihr die Hand.
Ms. Reed machte einen redlichen Versuch. »Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstehe. Ob sie richtig geht? Sie meinen, ob die Zeit richtig aufgezeichnet wird? Ich würde sagen ja.«
»Das ist es eigentlich nicht, was ich gemeint habe.« Powell lächelte sie an, wandte sich dann der Jury zu. »Wir haben in diesem Prozeß bislang soviel über Zeit gehört - der Computer des Federal Express, der Mann vom Notruf, der die Polizei verständigte - der Geldautomat Ihrer Bank -, daß ich mich frage, ob Sie wissen, ob all diese Apparate von irgendeinem großen Computer oder sonstwie koordiniert werden.«
Ms. Reed, die keineswegs dumm war, wußte sehr wohl, wohin diese Frage führte, aber sie konnte nichts dagegen unternehmen. Wenn sie Schwierigkeiten bekommen würde, war das eben nicht zu ändern. Sie würde auf keinen Fall unter Eid die Unwahrheit sagen.
Es kam also heraus.
Powell tat natürlich so, als sei er höchst schockiert. »Wollen Sie damit sagen, daß die Verteidigung von dieser Drei-Minuten-Differenz gewußt hat und daß wir die ganze Zeit zugehört haben, wie Mr. Freeman große Töne spuckte, und er dabei in keinem Moment den Anlaß sah, das zu erwähnen?«
Villars lächelte beinahe, dachte Hardy, und das jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Es schien, als habe Powell sich in ihren Augen soeben entlastet.
»Ja.«
»Warum haben Sie das nicht erwähnt? Schien es nicht wichtig zu sein?«
»Na ja, schon, aber Mr. Freeman hatte gesagt, daß ich Schwierigkeiten bekommen könnte.«
»Mr. Freeman sagte, Sie könnten Schwierigkeiten bekommen?«
»Ja.«
»Wieso sollten Sie denn Schwierigkeiten bekommen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht seitens der Polizei. Das hat jedenfalls Mr. Freeman gesagt.«
Hardy legte einen Augenblick die Hände vor die Augen. Ihm war bewußt, daß das nicht gerade den besten Eindruck machte, aber als Ersatz für ein Loch, in dem er sich verkriechen konnte, schien das eine vernünftige Alternative.
Powell ließ nicht locker. »Also haben wir mit dem Drei-Minuten-Unterschied einen Dreize/in-Minuten-Lauf, nicht wahr? Oder ein Tempo von siebeneinhalb Minuten pro Meile, was zwar schnell ist, aber weit entfernt davon, eine durchtrainierte Sportlerin zu benötigen.«
»Ich weiß nicht ...« Ms. Reed war den Tränen nahe, entweder vor Angst oder vor Wut, daß man sie in diese Situation gebracht hatte.
»Einspruch.« Aber Villars zeigte nur mit dem Hammer auf ihn. »Unterstehen Sie sich, Mr. Freeman«, sagte sie.
Powell wartete ab, natürlich erfreut über diese richterliche Entscheidung, dann fuhr er fort: »Wenn die Verteidigung dieses Poster hier schon einmal aufgehängt hat, dann lassen Sie es uns doch einen Augenblick benutzen, nicht wahr? Sie haben etwas über diese berühmten 1,7 Meilen ausgesagt, ist das richtig?«
»Ja.«
»Aber sehen Sie mal hier, diese rote Linie folgt immer der Grenze des Klinikzentrums des UCSF. Kennen Sie sich dort aus?«
»Ja, das ist nur ein Stück die Straße hoch. Ich esse dort manchmal zu Mittag.«
»Wollen Sie damit sagen, daß das Gelände nicht für die Öffentlichkeit gesperrt ist? Kann jeder dort ein und aus gehen?«
»Ich tue das ständig.«
»Ms. Reed, würde es Ihnen etwas ausmachen, den roten Stift zu nehmen, den wir benutzt haben, und durch das Gelände des Medical Center einen Strich zu ziehen, damit die Jury es sehen kann?«
Alle Anwesenden im Gerichtssaal sahen gebannt zu. Es ergab eine fast gerade Linie vom Spielplatz an der Midtown Terrace am Ende des Olympia Way hinunter zur Parnassus Street.
»Und ist dies ein flaches Terrain, Ms. Reed?«
»Einspruch.«
»Wohl kaum«, sagte Villars.
»Nein, Sir, es geht immer bergauf.«
»Oder vom Olympia Way aus bergauf?«
»Ja.«
»Wenn man demnach«, folgerte Powell, »durch das Gelände des Klinikzentrums läuft, muß man nur eine halbe Meile Luftlinie zurücklegen, und zwar immer nur bergab. Selbst wenn die Angeklagte das Haus erst um 9 Uhr 40 verlassen hat, hätte
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