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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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sie die Strecke beinah im Schrittempo schaf fen können ...«
    Bis Freitag wurde Hardy allmählich verrückt, während er in seinem Büro herumsaß oder zu Freeman hinunterging oder ins Gefängnis fuhr, um mit Jennifer zu sprechen, oder sich Schaufenster anschaute. Das Warten auf das Urteil war eine ureigene, ganz spezielle Hölle.
    Und wenn sie verlieren sollten, würde es sein Fall werden, seiner ganz allein. Jetzt wurde ihm auch langsam die Tatsache bewußt, daß Freeman nicht einmal mehr mit ihm im Ge richtssaal sitzen würde - es gab keinen Grund dafür. Freeman war der Verteidiger beim Verfahren zur Klärung der Schuld frage gewesen, und - ob sie nun verloren oder gewannen - sein Job war jetzt beendet. Er würde notfalls die Begründung für die Berufung schreiben, einen neuen Prozeß oder eine Aufhebung des Urteils durchzusetzen versuchen, aber was den Gerichtssaal anging, würde Freeman keine aktive Rolle mehr spielen.
    Als Freeman ihn am Anfang gefragt hatte, ob er die Rolle des Keenan Counsel übernehmen würde - des Verteidigers, der für das Verfahren zur Festsetzung des Strafmaßes zuständig war -, hatte Hardy nicht wirklich begriffen, was alles damit verbunden war. Was er hätte tun sollen, sagte er sich.
    Jetzt würde er ganz allein die Verantwortung dafür tragen, dieselben Geschworenen, die Jennifer verurteilt hatten - sofern das der Fall war -, davon zu überzeugen, daß Jennifer nicht in die Gaskammer gehörte, daß durchaus strafmildernde Umstände vorlagen. Es würde jetzt seine Aufgabe sein, der Jury klarzumachen, welche Umstände das sein könnten.
    Doch natürlich resultierte dies alles aus seiner Überzeugung, daß die Jury Jennifer schuldig sprechen könnte. Es kg seiner Meinung nach nicht so sehr daran, daß die Anklagevertretung umwerfend gute Arbeit geleistet und nachgewiesen hatte, daß Jennifer ihren Mann und versehentlich, aus ungeklärten Beweggründen, auch ihren Sohn umgebracht hatte. Ebensowenig, so seine Überzeugung, hatte Freeman versagt, ungeachtet gelegentlicher Fehleinschätzungen, die Hardy ihm ankreidete.
    Nein, wenn die Geschworenen Jennifer verurteilen würden, dann aus dem Grund, daß sie zu der Überzeugung gelangt waren, Jennifer sei eine selbstsüchtige, eiskalte Person, eine Lügnerin, die ihren Ehemann bestahl und betrog, eine Frau, die die meiste Zeit Zorn statt Zerknirschung zeigte - genau die Sorte Frau, die das tun würde, wessen Jennifer angeklagt war.
    Und - dort lag Hardys Angst im wesentlichen begründet -Wenn die Geschworenen glauben sollten, daß Jennifer eine derart kaltblütige Person sei, dann war es gut möglich, daß sie der Meinung waren, Jennifer habe die Höchststrafe verdient ...
    Hardy hatte Frannie gebeten, die Kinder ein paar Stunden bei Erin abzugeben und mit ihm zu Mittag zu essen, und nun standen sie beide vor dem Pult von Phyllis draußen vor Free-mans Büro und machten Small talk, warteten auf Freeman, der sich selber zum Mitkommen eingeladen hatte, als das Telefon auf Phyllis' Schreibtisch klingelte.
    »David Freeman«, sagte sie förmlich - so meldete sie sich immer Anrufern gegenüber -, hörte dann zu, schürzte die Lippen, nickte ein- oder zweimal. »Danke.« Sie legte auf, hatte offenbar völlig die Anwesenheit von Hardy und Frannie vergessen, drückte den Knopf ihrer Gegensprechanlage. »M r Freeman, die Jury kommt zurück in den Gerichtssaal.«
    Der Zuschauerraum hatte sich innerhalb bemerkenswert kurzer Zeit mit Vertretern der Medien gefüllt. Hardy organisierte neben einem Reporter, den er kannte, einen Platz am Gang in der zweiten Reihe für Frannie.
    Jennifer wurde hereineskortiert und zum Tisch der Verteidigung geführt. Sie trug eine weiße Bluse, einen braunen Wickelrock und Schuhe mit flachen Absätzen. Freeman tätschelte ihr die Hand, obwohl sie das überhaupt nicht zu bemerken schien, ausdruckslos dasaß und keine Gefühlsregung erkennen ließ.
    Als Villars ihr die Anweisung dazu gab, stand sie auf und stellte sich aufrecht hin, den Blick geradeaus nach vorn gerichtet, zu ihrer Rechten von Freeman, zu ihrer Linken von Hardy flankiert. Die Richterin nahm vom Protokollführer das Urteil entgegen, las es sorgfältig, gab es dem Protokollführer zurück.
    »Was den ersten Anklagepunkt betrifft, so befinden wir, die Mitglieder der Jury, die Angeklagte, Jennifer Lee Witt, des vorsätzlichen Mordes an Larry Witt unter erschwerenden Umständen für schuldig.«
    Hardy spürte, wie sein Magen rebellierte. Er drehte sich halb zur

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