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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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dann würden sie hier als Zeugen der Anklage aussagen. Es gibt keine.
    Und wieso nicht?« Hardy drehte sich um und zeigte jetzt auf seine Mandantin. »Weil Jennifer Witt eine bemerkenswert gute Mutter war. Niemand behauptet oder unterstellt, daß dem nicht so war. Sie hat ihren Sohn geliebt. Sein Tod war eine Katastrophe für sie. Sie hätte sich keinen Plan ausgedacht, der - egal wie entfernt auch immer - ihren Sohn in Gefahr gebracht hätte. Und das, meine Damen und Herren, ist die schlichte Wahrheit.«
    Hardy warf Villars einen kurzen Seitenblick zu und wartete darauf, daß Powell erneut Einspruch erhob, dem diesmal stattgegeben würde. Aber das geschah nicht. Hardy hatte seine Aussage vage genug gehalten, und schließlich und endlich war dies erst eine Einführungsansprache. Er atmete aus und kam zu dem Schluß, daß er zu diesem Zeitpunkt wohl nichts Besseres erreichen könnte. Er dankte den Geschworenen und setzte sich wieder.
    Es war halb sieben, und Hardy saß am Tresen des »Little Shamrock« und trank ein Black & Tan, eine Mischung aus Ale und Stout. Moses und Hardy (damals in seinen Tagen als Barkeeper) waren stolz darauf, wie sie das Getränk hinbekamen, die beiden Biere säuberlich zu trennen wußten, das dunkle Stout nach oben. Aber der neue Bursche hinterm Tresen, Alan, hatte den Bogen noch nicht raus, und so schmeckte das frische Getränk abgestanden, schal. Vielleicht lag es auch einfach daran, wie der Tag verlaufen war, daran, wie Hardy zumute war.
    Nach dem vollen Tag vor Gericht und nach der emotionalen Anstrengung, die es bedeutete, zuletzt aufzustehen und sich an die Arbeit zu machen, hielt Hardy es nicht für eine gute Idee, in dieser Stimmung nach Hause zu fahren. Aber der persönliche Wechsel vom Beinahe-Gegner zum Verbündeten war nicht so einfach zu bewerkstelligen wie mit einem Schaltknopf, und so hatte er Frannie angerufen und ihr erklärt, daß er etwas Zeit zum Abspannen brauchte - sofern sie damit klar kam, sofern die Kinder sie nicht zu sehr genervt hatten.
    So früh an einem Montag abend saßen nur fünf andere Kunden in der Kneipe, zwei Pärchen an Tischen in der Nähe der Dartscheibe, und eine wirklich bezaubernde junge Frau beim Fenster, die sich gerade mit Alan unterhielt. Hardy drehte sein Halbliterglas langsam auf dem dunklen Holz vor sich im Kreis. Willie Nelson sang ein Lied von Paul Simon in der Musikbox, sang darüber, wie oft er sich geirrt hatte und wie oft er nicht mehr ein noch aus wußte. Hardy verstand das.
    Der junge Mann hinter der Theke brachte eine neue Grundhaltung ins »Shamrock«. Moses nannte sie »das Aussehen der Neunziger« - kurzes Haar, rasiertes Gesicht, elegantes Hemd und schicke Hose. Moses sagte, es kämen jetzt viel mehr weibliche Singles als zu der Zeit, da Hardy am Zapfhahn gestanden hatte, worauf Hardy entgegnet hatte, daß das durchaus wahr sein mochte, aber daß es vermutlich seichtere Leute seien, die auf ein gepflegtes Äußeres abfuhren. Er -Hardy - hingegen interessiere sich für Substanz, Charakter, Tiefe, Echtes. Moses erwiderte, das Echte sei schön und gut, aber verkaufe nicht soviel Schnaps damit. Außerdem stehe er seinerseits seit Susan, sagte Moses, auf das gepflegte Äußere. Die Zeiten änderten sich eben.
    Die Frau am Fenster sagte irgend etwas, und Alan lachte. Er sah sich rasch um, schaute nach, wie Hardy mit seinem Bier vorankam, und lächelte dabei, als habe ihn noch nie jemand angelogen. Vielleicht lag es daran, überlegte Hardy -ich bin in einem Metier, wo fast jedermann lügt. Das gehört einfach dazu.
    Er nahm höflichkeitshalber einen letzten Schluck und schob ein paar Scheine über den Tresen, hob die Hand, um Adieu zu sagen. Ein Fremder in seiner eigenen Kneipe.
    Die Abenddämmerung war soeben angebrochen, und es brannte eine einzelne Lampe im Haus der DiStephanos, im linken Fenster des Wohnzimmers. Keine Autos in der Auffahrt.
    Hardy parkte einen halben Block vom Haus entfernt. Er steckte die gefaltete Vorladung in die Brusttasche seines Hemds.
    Als er mit Herzklopfen den Weg zum Haus hochging, fragte er sich, was Frannie wohl denken würde, wenn sie von diesem Teil seiner Zeit zum Abspannen wüßte.
    Er ging ein paar Schritte übers Gras. Durchs beleuchtete Fenster sah er Nancy, die in der Küche hin und her ging. Auf der Veranda blieb er stehen, um zu lauschen. Er hörte niemanden reden. Falls Phil zu Hause war, würde er sich den Eintritt mit Gewalt verschaffen oder es zumindest versuchen.
    Er klingelte an der

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