Das Urteil
werden Sie eine Woche lang nicht zu Hause schlafen.«
Hardy, der eine Zurechtweisung erwartet hatte, war frappiert von Villars' Ton - viel persönlicher, als er gedacht hätte. Er beschloß, daß dies der richtige Moment sei, das Problem offen anzusprechen, falls es wirklich eins gab. »Haben Sie etwas gegen mich persönlich, Euer Ehren?« »Ich habe etwas dagegen, daß Ihre Mandantin in meinem Gerichtssaal einen Aufruhr veranstaltet. Dagegen habe ich etwas. Haben Sie etwas dagegen?«
»Ich glaube nicht, daß es darum geht«, sagte Hardy.
Villars richtete sich auf. »Wie bitte?« Sie kniff die Augen zusammen, funkelte ihn an. »Was haben Sie da gesagt?«
»Ich sagte, ich glaube nicht, daß es darum geht.«
Die Augen der Richterin wurden zu einem schmalen Schlitz. Ihre Stimme klang heiser, bebte vor Wut. »Mein Gerichtssaal ist ein gottverdammtes Muster an Fairneß, Mr. Hardy. Gerechtigkeit ist schwer genug zu bekommen, deshalb bemühe ich mich doppelt und dreifach, daß ich mich an die Regeln halte und alle Seiten gleich behandle, und aus dem Grunde nehme ich es verteufelt übel, wenn jemand unterstellt, daß ich das nicht tue.«
»Ich habe nicht gesagt, daß es in Ihrem Gerichtssaal zu spüren ist, Euer Ehren. Aber mir ist aufgefallen, daß Sie David Freeman wegen Mißachtung des Gerichts eine Geldstrafe auferlegt haben und mir jetzt dasselbe oder gar eine Haftstrafe androhen.«
»Ich würde bei Mr. Powell genauso verfahren, bilden Sie sich bloß nichts ein.« Sie warf dem Staatsanwalt, der sich bemühte, der Tapete gleichzusehen, einen Seitenblick zu. »Niemand brüllt Obszönitäten in meinem Gerichtssaal. Niemand. Freeman schlug über die Stränge, wie er es oft macht. Es ist nichts Persönliches, wie Sie anscheinend meinen. Der Hauptgrund, warum ich Ihre Mandantin nicht knebeln lasse, ist, daß das die Geschworenen noch weiter gegen sie einnehmen würde. Über das hinaus, was sie sich selbst eingebrockt hat. Trotzdem haben Sie für ihr Verhalten gebürgt, und ich werde das Nötige veranlassen, wenn sie wieder die Beherrschung verliert. Gegen sie und auch gegen Sie. Ist das klar?«
»Völlig.«
Sie starrte ihn weiter finster an.
»Euer Ehren«, fügte er hinzu.
Powells Plädoyer dauerte eine weitere Stunde, bis zur Mittagspause. Als er weitersprach, behielt Jennifer Hardys Arm in der Hand und drückte ihn manchmal fest genug, daß es sich anfühlte, als schneide sie durch das Sakko und das Hemd hindurch in den Arm.
Der Punkt, auf den Powells neues Argument »erschwerender Umstände« hinauslief, war der, daß es Jennifer bei ihren Plänen zur Ermordung ihres Ehemannes wegen des Versicherungsgeldes implizit bewußt geworden sei, daß es nötig werden könnte, auch ihren Sohn umzubringen! Daß es kein »Irrtum« gewesen sei. Der Junge war ihr nicht einfach irgendwie in die Quere gekommen. Sie wußte, daß er zu Hause sein mußte, und wußte, daß sie ihn vielleicht töten würde, ja vielleicht töten müßte.
Hardy hatte schon den Eindruck, daß Jennifer gleich aus dem Stuhl aufspringen und Powell attackierten würde, und beinahe hatte er selber dazu Lust. Powell ging wirklich zu weit.
»Wer wird für das Opfer sprechen?« hatte Powell am Ende gesagt. »Wenn ein Mensch, der den Plan zur Ermordung eines Kindes gefaßt hat, nicht das Recht auf sein Leben verwirkt hat, was ist dann als Gesellschaft aus uns geworden? Welchen gravierenderen Bruch des Vertrauens kann es eigentlich geben? Und welche Strafe, wenn nicht die alleräußerste, kann eigentlich anfangen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen?«
Wundersamerweise hatte Jennifer die ganze Tirade ruhig über sich ergehen lassen. Mehrfach waren ihr Tränen in die Augen gestiegen, die sie schnell und ärgerlich wegwischte, aber als der Staatsanwalt seine Ausführungen beendet hatte, wirkte sie gefaßt.
»Schneiden Sie dem Dreckskerl die Eier ab«, sagte sie zu Hardy, als Powell zurück zu seinem Tisch ging. Er betete, daß keiner der Geschworenen sie gehört hatte.
»Sie haben gehört, daß Mr. Powell Jennifer Witt als einen Menschen charakterisiert hat, der aufgrund der Natur ihrer Verbrechen das Recht zu leben verwirkt hat. Und wenn sie tatsächlich diese Verbrechen begangen hat, würde ich ihm viel leicht zustimmen.«
Ohne aufzustehen hob Powell die Hand. »Einspruch, Euer Ehren. Die Schuld der Angeklagten ist bereits erwiesen.«
»Das habe ich eingeräumt, Euer Ehren.« Hardy hoffte, daß er das hinreichend getan hatte. Er war der Ansicht, daß
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