Das Urteil
»Ohne Frage, Sir. Dann haben Sie also entschieden, daß gegen diese Frau Anklage erhoben wird? Möchten Sie, daß wir sie nach oben bringen und erkennungsdienstlich behandeln lassen?« Hardy kannte Batiste nicht besonders gut, doch in diesem Augenblick beschloß er, daß er ihn bewunderte. In seinem Ton steckte keinerlei Ironie; in der Tat war es pedantisch korrekt. Er teilte dem Bezirksstaatsanwalt lediglich mit, daß sie, wenn dieser alle Fakten zusammen hätte, zum nächsten verwaltungstechnischen Schritt übergehen sollten.
Außerdem zwang er Locke, Farbe zu bekennen.
Der Bezirksstaatsanwalt war überrumpelt. Im Raum war es selbst ohne die Presseleute proppevoll und knallig heiß -Locke, Batiste, Powell, Terrell, Manion, Nancy, Hardy, drei weitere Burschen von der Mordkommission, die zufällig da waren, als alles begann. Locke sah jetzt zum ersten Mal Nancy DiStephano an, die müde am Türpfosten des Vernehmungszimmers lehnte und mit gekreuzten Armen ihre gebrochenen Rippen schützte.
»Ich habe den Bericht des Beamten, der die Verhaftung vorgenommen hat, noch nicht gelesen«, sagte Locke. »Ich hatte den Eindruck ...« Er brach ab. »Nachdem ich ihn gelesen habe, werde ich meine Entscheidung fällen.«
Powell folgte ihm nach draußen und ließ auf dem ganzen Weg den Flur entlang unablässig die Formel »kein Kommentar« hören. Im Zimmer der Mordkommission folgte ein langes Schweigen. Schließlich wandte Batiste sich an Terrell. »Das Büro des Bezirksstaatsanwalts stellt seine eigenen Ermittler ein, Walt. Wenn du einer von ihnen werden willst, dann bewirb dich. Ich kümmere mich um den Papierkram.« Er marschierte in sein Büro.
Hardy ging wieder zu Nancy, die inzwischen so aussah, als würde sie gleich ohnmächtig. Er führte sie zu dem Sessel, half ihr, sich zu setzen. Sie japste vor lauter Anstrengung. Glitsky gesellte sich zu ihnen. »Sie hätte Freeman oder dich anrufen können. Ich habe ihr gesagt, daß du vermutlich in der Nähe bist.«
Hardy legte Glitsky eine Hand auf die Schulter, drückte sie, ein Dankeschön. »Wie wäre es, wenn ich Sie nach Hause bringe, Nancy?«
Sie hatte offensichtlich Schmerzen, aber sie sah zu ihm hoch und schüttelte den Kopf. »Würde es Ihnen etwas ausmachen? Ich würde gern Jennifer besuchen, wenn das in Ordnung geht.«
Nach einer kleinen Ruhepause hatte sie das Gefühl, sie würde den Gang zum Fahrstuhl und die kurze Fahrt hinauf in den sechsten Stock jetzt durchstehen können.
Als sie aus dem Fahrstuhl in den vergitterten Vorraum vor den schweren Türen vor dem Untersuchungsgefängnis trat, schlug Nancy die Hand vor den Mund, die Karikatur eines schockierten Menschen, nur war Hardy sich sicher, daß es aufrichtig war. Es roch nach Einreibemittel und Schweiß -ihm bereits wohlvertraut. Die Art, wie alle Geräusche hallten, wenn sie näher kamen - der Fahrstuhl, das Schloß in der Tür zum Vorraum, das Gerassel der Schlüssel. Weit weg, nur halb vernehmbar, aber gespenstisch aufdringlich, hörte man gedämpftes Stimmengewirr, und doch blieb das leise Summen konstant. Sie hörten, wie jemand schrie, den Aufprall von etwas, das zu Boden geworfen wurde. Es war Essenszeit.
Nancy packte ihn am Arm. »Ich wußte ja nicht, daß es ...« Sie beendete den Satz nicht. Es war auch nicht nötig. Niemand wußte, wie es war, bis er einmal hier gewesen war. »Ich hätte eher kommen sollen, aber Phil ...« Hardy kannte auch diesen Satz - »Phil hätte es nicht zugelassen.«
Hardy hatte die Erlaubnis eingeholt, Nancy in eines der winzigen Zimmer im Frauengefängnis zu bringen, die für die Anwälte reserviert waren. Er stand neben der Tür, als sie auf ging und Jennifer hereingeführt wurde.
Nancy saß auf der anderen Seite des Zimmers. Sie biß sich auf die Lippen, ihr Gesicht ruckte hoch. Die Tür wurde zuge macht. »Hat man dir von deinem Vater erzählt?«
Jennifer nickte, die Hände an die Seiten gelegt. Nancy erhob sich, machte einen vorsichtigen Schritt auf ihre Tochter zu.
»Jenn ...«
Sie flüsterte die Worte kaum hörbar. »Oh, Mom ...«
Sie standen da, bewegten sich nicht. Nancy streckte ihr die Hände entgegen, und Jennifer ging unsicher auf sie zu. Sie standen nun direkt voreinander, umarmten sich, Nancy legte ihrer Tochter die Arme um den Nacken, ihr Gesicht war ver zerrt, so sehr schmerzten die gebrochenen Rippen, doch sie ließ sie nicht los und drückte ihre Tochter - aus Hardys Blick winkel -, so fest sie konnte.
»Ich muß es herausfinden.« »Nein«,
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