Das Urteil
Sie schluckte erneut. »Ich gebe zu, daß ich vielleicht nicht die tollste Mutter der Welt gewesen bin, aber ich habe Matt geliebt...« Wieder hielt sie inne und biß sich auf die Unterlippe. Sie riß sich zusammen und rang sich ein dünnes Lächeln ab. »Ich schätze, das ist auch schon alles.«
Powell kritzelte wie ein Wilder irgendwelche Notizen aufs Papier - worüber?
Hardy hatte vorgehabt, ihr ein paar Fragen über Larry zu stellen, aber diese Aussage war so unverfälscht, daß er sich versucht sah, es auf der Stelle gut sein zu lassen. Die Geschworenen hatten jetzt gehört, wie sie mit eigener Stimme die Morde abstritt - unter Umständen war dies haargenau, was er brauchte, oder zumindest doch das Beste, was er erreichen konnte.
Andererseits mochten die Geschworenen den Eindruck ha ben, daß es allzu leicht fiel, etwas so Kurzes vorzutäuschen. Er hatte das Gefühl, er müsse Jennifer noch ein bißchen mehr zur Geltung bringen - wie Freeman gesagt hatte, war das Leben eben riskant. »Wollen Sie uns vom Morgen des 28. Dezember erzählen?« Powell stand auf. »Euer Ehren, diese Aussage hätte in die Prozeßphase zur Klärung der Schuldfrage gehört.«
Hardy mußte zu Wort kommen, ehe Villars ihre Entschei dung traf. »Das hier ist Jennifer Witts Geschichte, und die Ge schworenen haben es verdient, diese Geschichte zu hören, Euer Ehren.«
Die Richterin runzelte die Stirn, wie sie es stets tat, wenn die Verteidigung und die Anklagevertretung miteinander Streit bekamen, aber dann pflichtete sie Hardy bei. Sie wandte sich an Jennifer und sagte: »Erzählen Sie uns von jenem Morgen, Mrs. Witt.«
Jennifer nickte. »Ich bin zeitig aufgestanden, weil wir spät zu Abend gegessen hatten und ich das Geschirr noch nicht weg geräumt hatte. Und Larry würde den ganzen Tag zu Hause sein, eigentlich die ganze Woche, und deshalb wollte ich sicher gehen, daß das Haus tiptop in Ordnung war. Ich wollte später joggen gehen, was ich üblicherweise tat, also zog ich einfach meine Laufsachen an und ging nach unten.
Es war schon ziemlich spät, vielleicht halb neun, aber Larry hatte Urlaub, und ich dachte mir, er sollte ruhig ausschlafen können, wenn er dazu Lust hatte. Dann endlich kam er die Treppe herunter. Matt schlief noch, er hatte einen gesunden Schlaf.«
Sehr schön gemacht, dachte Hardy schamlos.
»Jedenfalls liest Larry beim Frühstück die Zeitung. Es ist einfach etwas, das er immer so macht ...« Sie machte eine Pause, sammelte ihre Gedanken. »Das er immer so machte, will ich damit sagen. Aber an diesem Morgen kam er zornig die Treppe herunter.«
»Weswegen?« fragte Hardy.
Sie schluckte kräftig. »Ich war nicht richtig angezogen.«
»Haben Sie nicht gesagt, daß Sie Ihre Laufsachen angezo gen haben?«
Sie nickte. »Aber das würde noch etwa eine Stunde dauern, verstehen Sie? Ich schätze mal, ich sah noch immer so aus, als wäre ich eben erst aus dem Bett gefallen. Mein Haar war zer zaust, meine ich, und ich hatte noch kein Make-up aufge legt.«
»Aber waren Sie nicht einfach vor einer Weile aufgestan den, um sauberzumachen und abzuwaschen?«
Jennifer mochte keine Lust haben, zu erzählen, daß Larry sie schlug, aber hier war sie in ihrem Element. Der heilige Larry bekam ein paar Dellen ab, und Hardy war daran gele gen, daß Jennifer so weitermachte. »Na ja schon, ja, aber ... er konnte das einfach nicht ausstehen.«
»Hat er Sie angeschrien?«
»Nein. Ich merkte einfach, daß er verärgert war, wissen Sie.«
»Ich denke schon, Jennifer.« Hardy bezog die Jury mit ein. »Und was ist dann passiert?«
»Na ja, ich habe ihm seinen Kaffee gebracht und versuchte dann, ihm die Schultern zu massieren, was er genoß, wenn er verspannt war, aber er hat mich abgeschüttelt.«
»Er hat Sie abgeschüttelt? Wollen Sie damit sagen, daß er Sie weggeschubst hat?« Powell schien nichts dagegen zu ha ben, wenn er der Zeugin Suggestivfragen stellte, also würde Hardy sie an die Hundeleine nehmen, wenn es nötig wäre.
Aber Jennifer spielte nicht mit. »Nein. Wissen Sie, er konnte es einfach nicht ausstehen, wenn ich so aussah. Also sagte ich zu ihm, ich würde nach oben gehen und mich umzie hen, wenn er es wollte ...«
»Obwohl Sie nach wie vor in einer Stunde vorhatten, zum Joggen zu gehen?«
Sie nickte. »Wenn er es wollte. Das machte mir nichts aus. Aber dann sagte er, ich soll mir die Mühe sparen, er hat mir erzählt, daß er schon eine Stunde lang oben wach gewesen sei und unsere Rechnungen durchgeschaut
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