Das Urteil
gleich mit der Tür ins Haus fallen. Er mußte ihr Freund sein, der lediglich ein paar Kleinigkeiten klarstellen wollte. Sie hatte die Schultern vorgezogen, nahm eine leicht gebeugte abwehrende Haltung ein, aber sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. Das war immerhin ein Anfang.
»Mrs. DiStephano, Sie und Ihr verstorbener Ehemann haben auch noch einen Sohn, richtig?«
Dieser unerwartete Schachzug brachte sie aus dem Gleichgewicht. »Ja. Tom.«
»Und war Tom jemals das Opfer von Mißhandlungen seitens Ihres Mannes?«
»Phil hat Tom ein paarmal geschlagen, als er jünger war, aber das waren eher so Klapse. Er hat ihm nie richtig weh getan.«
»Und wie ist es jetzt mit den beiden? Stehen sie einander nahe?«
Hardy stand auf. »Euer Ehren, mit Erlaubnis des Gerichts, Mr. Powell weiß ganz genau, daß Mr. DiStephano tot ist.«
Das war beiläufig dahingesagt, und Hardys Formulierung wich der expliziten Einräumung aus, daß Nancy ihn getötet hatte, sofern das nicht ohnehin bereits jedermann wußte. 1 Powell machte eine entschuldigende Geste. »Hat Tom je mit angesehen, wie Ihr Mann Sie geschlagen hat?«
»Ja.«
»Genau wie Jennifer?«
»Ja. Bis später, will ich damit sagen.«
»Was geschah denn später?«
»Na ja, als Tom älter wurde, da hat er, na ja, hat er versucht, mich zu beschützen. Also vergewisserte sich Phil immer, daß Tom nicht in der Nähe war.«
»Aber das war bei Jennifer nicht der Fall?«
»Entschuldigung. Was war nicht der Fall?«
»Ihr verstorbener Ehemann Phil hat Sie auch dann geschlagen, wenn Jennifer in der Nähe war?« »Manchmal.« »Und sie hat nicht versucht, es zu verhindern?« »Sie konnte meinen Mann nicht daran hindern. Ich konnte . ihn nicht...« Sie hielt inne, als ihr bewußt wurde, daß sie zuletzt genau das getan hatte. »Er war zu stark. Jennifer hat sich einfach versteckt, glaube ich.« »Also hat sich Jennifer versteckt und zugesehen, wie ihr Vater Sie verprügelt hat, ohne daß sie versucht hätte, Ihnen irgendwie zu helfen. Aber Ihr Sohn Tom hat sich einzumischen versucht. Was empfinden Sie jetzt für Ihren Sohn Tom?«
»Tom? Er ist ein lieber Junge.«
»Lieben Sie ihn?«
»Natürlich. Er ist mein Sohn.«
»Und Mütter lieben natürlich ihre Söhne?«
»Ja.« Powell ließ diese Antwort sickern. »Und trotzdem haben Sie ausgesagt, daß Jennifer alles sei, was Ihnen noch geblieben ist?«
Nancy schaute sich in panischer Angst im ganzen Saal um, dann sah sie Hardy an. Er nickte. Alles in Ordnung. Sie machte ihre Sache prima.
»Das war eine Redensart«, sagte sie. »Sie ist die einzige Tochter, die mir geblieben ist.«
»Und steht sie Ihnen nahe?«
»Ja. Sehr nahe.«
»Sie steht Ihnen sehr nahe. Ich verstehe. Können Sie der Jury sagen, wie oft Sie sie im letzten Jahr, bevor Ihre Toch ter verhaftet wurde, ungefähr zu Hause besucht haben ?«
Hardy legte eine Hand an die Stirn. Die Falle würde gleich zuschnappen. Jennifer hatte ihm die Hand auf den Arm ge legt.
Nancy zögerte, lehnte sich zum ersten Mal zurück. Die Se kunden krochen dahin.
»Mrs. DiStephano«, sekundierte Villars, »bitte beantworten Sie die Frage.«
Powell wartete noch ein Weilchen ab. Er machte keinen Druck - es war eine naheliegende und schlichte Frage, die im Raum hing. Niemand, insbesondere nicht Nancy, würde sie vergessen haben. »Nicht im letzten Jahr«, sagte sie schließlich.
»Sie haben Ihre Tochter im ganzen letzten Jahr nicht be sucht?«
»Nein.«
»Wie war's mit Besuchen bei Ihnen ? Ist sie denn zu Ihnen zu Besuch gekommen?«
»Nein.«
»Überhaupt nie?«
»Nein.«
Powell drehte sich einmal um die eigene Achse, sein aus drucksstarkes Gesicht zeigte jede Nuance seines tiefen Erstau nens. »Nun, wie war es im Jahr zuvor?«
Nancy klang allmählich etwas unwirsch. »Nein, wir haben die drei nicht sehr oft gesehen. Larry war ... Larry wollte das nicht.«
»Larry wollte das nicht.« Powell, der Nancys Gefühle schonen wollte, ein netter Kerl, versuchte ein Schlupfloch für sie zu finden. »Dann müssen Sie und Jennifer, wenn sie so ein enges Verhältnis zueinander hatten, ja oft miteinander telefoniert haben?« Nancy sah zu Boden. »Sie hatte sehr viel um die Ohren.« »Ihre Tochter hatte sehr viel um die Ohren. War sie berufs tätig?«
»Ich war berufstätig, ich bin berufstätig.«
»Dann bleiben Abende und Wochenenden übrig, richtig?«
Hardy stand auf. »Euer Ehren, der Staatsanwalt schikaniert die Zeugin.«
»Nicht stattgegeben.«
Powell fragte erneut. »Nur
Weitere Kostenlose Bücher