Das Urteil
Kaution, von allem - oder beinahe von allem. Er brachte den nagenden Zweifel nicht zum Ausdruck, daß bei der neuen Mandantin nicht alles so sein mochte, wie es den Anschein hatte. Aber er erzählte ihr von dem Bankkonto, das Jennifer besaß. »Also hat sie das Geld, um uns zu bezahlen.« Dann versuchte er zu erklären, wie sie zu dem Geld gekom men war.
Frannie hörte auf, an ihrem Tee zu nippen. »Willst du damit sagen, daß sie es ... gestohlen hat? Das Geld, mit dem sie euch bezahlt?«
»Nein. Nicht eigentlich gestohlen.« Hardy zeigte mit dem Finger. »Es gefällt mir, wie du das mit den Augenbrauen machst. Abscheu und Ablehnung. Sehr wirkungsvoll.«
»Sie hat es nicht eigentlich gestohlen? Ich bitte dich.«
Er gab auf. »Na schön, sie hat es gestohlen. Sie hatte Gründe dafür. Es heißt nicht, daß sie ein schlechter Mensch ist.« Wieder der Versuch, es leichthin klingen zu lassen, und wieder scheiterte er wie ein Trecker, der im Wind abheben soll. »Jedenfalls«, fuhr er fort, »bedeutet es Arbeit für mindestens ein Jahr. Und hält mich im Geschäft. Und wenn David sie herauspaukt, was ihm bei seinen Mandanten oft gelingt, ist es eine gute Sache für alle Beteiligten.«
»Was, wenn er es nicht schafft?«
»Na ja, wenn er es nicht schafft, dann ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sie nicht in der Gaskammer landet.«
Frannie wußte wie die meisten Leute nicht genau darüber Bescheid, wie in Kalifornien Prozesse abliefen, bei denen die Todesstrafe drohte. Hardy erklärte, daß Freeman für die erste Phase des Verfahrens zuständig sei, in der Jennifers Schuld oder Unschuld festgestellt würde. Wenn diese Phase vorbei war und falls Freeman verlieren sollte, folgte eine zweite Phase, letztlich ein zweites Gerichtsverfahren, um eine der beiden möglichen Strafen zu bestimmen - lebenslange Haft ohne Möglichkeit einer Entlassung auf Bewährung oder aber die Hinrichtung.
Hardy würde die zweite Phase übernehmen, sofern es zu ihr kommen sollte.
Frannie schüttelte ungläubig den Kopf .., »Du machst wohl Witze. Das soll eine gute Sache sein? Das ist meine Vorstellung von der Hölle.«
Aber überhaupt nicht.
»Soweit wird es gar nicht kommen. Mach dir keine Sorgen deswegen.«
»Können wir das schriftlich festhalten? Dismas Hardy sagt, soweit werde es gar nicht kommen. Ich soll mir keine Sorgen deswegen machen. Ich hätte gerne eine Abschrift für meine Unterlagen.«
Hardy hob sorgsam eine Oni mit Wachtelei von der Platte vor sich hoch und steckte sie in den Mund, genoß den Moment, in dem das Aroma explodierte. »Ich werde meine Sekretärin eine Abschrift anfertigen lassen. Schau mal, Fran-nie, David ist der beste Strafverteidiger in der Stadt. Er gibt mir einen Knochen ab, weiter nichts. Einen dicken Knochen mit Fleisch daran.«
»Und was ist, wenn sie's getan hat? Was dann?«
Hardy schüttelte den Kopf. »Sie hat ihren Sohn nicht umgebracht.«
»Irgendwer muß glauben, daß sie's getan hat. Ich hab dich sagen hören, daß man keine Leute verhaftet, wen sie nicht irgendwas ausgefressen haben ...«
»Ich hab mich geirrt. Jetzt ist mir ein Licht aufgegangen.«
Frannie fummelte einen Moment an ihrem Glas herum und sah schließlich auf. »Das alles ist im Grunde nicht so komisch. Sieh mal, stimmt es denn nicht, daß man die Ansicht vertreten kann, daß sie ihren Sohn umgebracht hat, selbst wenn es ein Unfall oder sonstwas gewesen ist?«
Er mußte nicken.
»Und daß man sehr wohl die Ansicht vertreten kann, daß Sie ihren Mann umgebracht hat?«
»Nun, eine Anklageerhebung durch die Grand Jury heißt noch nicht notwendigerweise...«
Aber Frannie kannte dieses Lied bereits und fiel ihm ins Wort. »Und was war mit ihrem ersten Mann?«
Hardy winkte ab. »Das ist bloß ein Schuß ins Blaue, den der Staatsanwalt probiert. Sie sind hergegangen und haben das Ganze buchstäblich ausgegraben. Sie haben beim ersten Mal keine Anklage erhoben, also werden sie es jetzt nach zehn Jahren nicht beweisen können.«
»Noch mehr berühmte letzte Worte«, sagte Frannie. »Aber was ist, wenn doch? Was ist, wenn das alles nicht so läuft, wie du es vorhersagst? Was dann? Oder schlimmer noch, was ist, wenn sich herausstellt, daß sie es tatsächlich getan hat, ich meine, sowohl ihre Männer als auch ihr Kind umgebracht hat?«
Hardy gefielen diese Fragen nicht, vor allem, weil er sie sich erst vor so kurzem selbst gestellt hatte. Jennifers Talent zur Schauspielerei, zum Posieren und Ränkeschmieden und ihr
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