Das Urteil
Verstand waren alles andere als unerheblich. Er hatte natürlich keine Lust, für jemanden um Mitleid zu werben, der keines verdiente, und wenn auch nur eine geringe Chance bestand, daß Jennifer die Schuld an allen diesen Dingen traf, dann verdiente sie es weder heute noch sonst irgendwann, Dusel zu haben.
Aber indem er sich in einen tüchtigen Rechtsanwalt verwandelte, hatte er sich zumindest eine Antwort zurechtgelegt, von der er hoffte, daß sie bei dem Verfahren zur Straffestlegung funktionieren würde. »Falls sie ihren Mann umgebracht hat, kann ich vorbringen, daß er sie verprügelt hat, was er offenbar getan hat.«
»Du weißt das?«
»Ich nehme es an. Obwohl sie es mehr oder weniger abstreitet.«
»Nun, das ist ermutigend. Sehr eindrucksvoll.«
»Junge, Junge, macht das Spaß.«
»Ich bin auch ein alter Spaßmacher. Eben noch tote Hose, und dann zack, plötzlich jagt ein Spaß den anderen.« Sie saßen in ihrem neuen Honda Accord - der jeepähnliche Suzuki Samurai war den kleinen Kindern geopfert worden -und fuhren um zehn Uhr abends in gemächlichem Tempo die Haight Street entlang. Er nahm ihre Hand. Sie entzog sie ihm sacht.
»Gleich haben wir's«, sagte er. Es war eine Entschuldigung.
Nach dem Essen bei Hiro hatten sie sich entschlossen, zurück ins Shamrock zu gehen, um ein bißchen mit Moses zu quatschen. Frannie hatte ihren Bruder vermißt, die ganze Woche hatte sie ihn nicht gesehen.
Doch zuerst...
David Freeman griff nur ungern auf Privatdetektive zurück und zog es vor, die Ermittlungsarbeit selbst in die Hand zu nehmen. Und weil der gerade laufende Prozeß soviel von seiner Zeit beanspruchte, hatte er Hardy gebeten, ein paar Details in Sachen Jennifer Witt zu prüfen.
Also hatte Hardy vorgeschlagen, daß sie vor dem Besuch im Shamrock schnell mal bei dem Haus vorbeischauten, wo Jennifer, Larry und Matt gewohnt hatten, nur um es einmal gesehen zu haben. Seine Kopie der Akte lag noch immer im Auto, also sahen sie die Adresse auf den Twin Peaks nach, und es dauerte beinahe zwanzig Minuten, bis sie es gefunden hatten - Olympia Way. Und dann hatte Hardy gesagt, weil es ohnehin auf dem Weg lag, könnten sie ebensogut die Entfernung zu Jennifers Bank ausmessen, wo Jennifer Geld aus dem Automaten abgehoben hatte.
Leider gab es vier Banken auf der neu aufgemöbelten alten Hauptstraße der Hippies, und alle hatten sie Geldautomaten. Also notierte sich Hardy die Entfernungen vom Kilometerzähler, während Frannie kommentierte, wie prächtig sie sich in der letzten Dreiviertelstunde unterhalten hätten.
Die Bank in der Haight Street, die dem Haus der Witts am nächsten lag, war nur ein bißchen weiter als eine Meile von ihrer Haustür entfernt. Und bis zu der Bank, die am weitesten weg lag, waren es rund zwei Meilen. Hardy hatte keine Ahnung, ob diese Daten sich jemals als wichtig erweisen sollen, aber es war ihm wohler zumute, als er sie hatte. Er ging gerne nach der Devise vor, daß gesicherte Daten einen Unterschied ausmachten, auch wenn man nicht immer wußte, was genau eigentlich der Unterschied war.
»Prima. Jetzt, wo wir das wissen«, rief Frannie aus, als Hardy sich die letzte Zahl aufgeschrieben hatte, »kann ich heute nacht beruhigt schlafen.«
8
Hardys Morgengrauen war ganz wortwörtlich zu nehmen. Das Telefon neben seinem Bett begann um zwanzig nach sechs zu läuten, als sich eben der schmälste Streifen Rosa vor seinem Schlafzimmerfenster zeigte. Hardy nahm den Hörer beim ersten Läuten ab.
»Hier spricht Walter Terrell. Hab ich Sie geweckt? Tut mir leid . Abe Glitsky hat mich gebeten, Sie anzurufen. Was kann ich für Sie tun?«
Hardy hörte die junge Stimme und registrierte erneut die Neigung mancher Polizisten sich bei einem zu melden, wenn man nicht darauf vorbereitet war. Er hätte darauf gewettet, daß Terrell weder wirklich überrascht war, noch daß es ihm leid tat, Hardy geweckt zu haben. Zwanzig vor sechs war ein bißchen früh für alle Leute außer Fischern, und die meisten Menschen schienen das zu wissen. Selbst Hardys Kinder schliefen noch.
Aber er hatte ihn jetzt am Telefon, und dies war vielleicht die einzige Gelegenheit, also schwang er sich aus dem Bett und tapste mit dem Apparat in die Küche. »Ich habe mir gedacht, wir könnten uns vielleicht mal treffen, uns ein wenig über Jennifer Witt unterhalten.«
Es folgte eine Pause. Vielleicht hatte Glitsky Terrell nicht so ganz genau erzählt, wer Hardy war. Oder was er mit Jennifer zu schaffen hatte . Eine Sache
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