Das Urteil
erinnerte sich an all das, weil es erst vor zwei Tagen gewesen war und der Diskjockey ein Mordstamtam gemacht hatte, daß es jetzt noch Genau eine Stunde bis zum großen Augenblick dauere - also mußte es 9:30 sein -, und zwar war das gerade, als er wieder in den Lieferwagen kletterte und sich überlegte, wie er wohl seine Route legen müßte, damit er in diesem letzten entscheidenden Augenblick in der Nähe einer Telefonzelle sein würde.
Hardy saß mit seiner Fotokopie des Protokolls, die er am Tag zuvor in Freemans Büro gemacht hatte, am Eßtisch und brüllte Frannie zu, ob sie wüßte, wer »Two Faces Have I« gesungen hatte, und sie antwortete, das sei vor ihrer Zeit gewesen.
Es war noch immer keine sieben Uhr.
»Ich bin erst siebenundzwanzig, Dismas. Kein Mensch in meinem Alter kennt diese Schoten.«
»Fred Rivera schon.« Er erzählte ihr von Lou Christie, von »Two Faces Have I«, einem der großen Klassiker der Pop-Ära. Er mußte ihr den Song irgendwann einmal vorspielen, sofern er ihn unter seinen uralten 45er Scheiben ausfindig machen konnte. Sie erwiderte, daß sie es überhaupt nicht erwarten könne. Er fragte sie, ob sie jemals die lange Version gehört habe, setzte sich dann mit einem Lächeln wieder an die Akte.
Und stellte fest, daß keine der Aktionen von Fred oder Larry nötig gewesen wäre, um die Zeit exakt bestimmen zu können - Federal Express setzt Lieferwagen ein, die mit Computern ausgerüstet sind, und nach jedem Stop tippt der Wahrer die Daten der Lieferung ein. Terrell hatte es nachgeprüft - er mochte einen Hang zu Theorien haben, aber er war auch gründlich -, und der Computer hatte den Eintrag um 9:3l registriert, was Fred eine Minute gab, um die Sache mit Larry abzuschließen und sich wieder in seinen Wagen zu setzen.
Fred Rivera hatte Jennifer um 9:30 nicht im Haus gesehen, aber da ihm sowieso nur der »Solid Gold Oldie« im Kopf her umging, hielt Hardy es für unwahrscheinlich, daß er es mitbekommen hätte, selbst wenn sie nackt hinter Larry herummarschiert wäre. Na ja, dann vielleicht schon. Hardy fragte sich, wo Matt gesteckt hatte.
Also hatte Fred Rivera niemanden gesehen. Ebensowenig hatte er irgendwelche verdächtigen Personen die Straße entlangspazieren sehen - nicht daß er darauf geachtet hatte, mußte man wiederum dazusagen.
Mrs. Florence Barieto hatte die Polizei um 9:40 angerufen, »zwei Minuten«, nachdem sie die Schüsse gehört hatte. Die Häuser auf der Olympia Street, obwohl sie groß waren, waren beinahe in fortlaufender Reihe erbaut, es lagen gerade mal fünf Meter zwischen den einzelnen Gebäuden. Sie hatte Schüsse gehört und dann aus ihrem Fenster zum Nachbarhaus hinübergeschaut, ein Weilchen nachgedacht und war dann nach nebenan gegangen und hatte an der Türklingel der Witts geläutet. Als niemand aufmachte, ging sie zurück nach Hause und rief die Polizei an.
Hardy dachte sich, daß sich das eher nach fünf Minuten anhörte, als nach zwei. Was bedeutete, daß die Schüsse entweder um 9:38 fielen oder aber ungefähr drei Minuten früher. Konnte so ein winziges Detail irgendeinen Unterschied machen ? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Die Fakten begannen langsam einzutrudeln. Und die denkbaren Interpretationen ebenso.
9
Jennifer wurde klar, daß sie und die Leute hier sich gar nicht so sehr unterschieden. Das hatte sie nicht erwartet. Die anderen waren nicht so abgebrüht oder furchteinflößend, wie sie ihr anfangs vorgekommen waren, als man sie hierher gebracht hatte. Und sie waren niedergeschlagen, eingesperrt, vorwiegend lammfromm. Genau wie sie.
Micht daß es ein Häkelkränzchen gewesen wäre. Immer ging es ordinär zu, aber sie empfand das als beinahe tröstlich -ein Eingeständnis gemeinsamer Gefühle, der Tatsache, daß man hier gemeinsam in der Tinte saß. Dies war ihre Sprache in ihrer Welt, und zum Teufel mit jedem, dem das nicht paßte.
Keine der Frauen schien es auch nur im geringsten zu kratzen, ob Jennifer nun ihren Mann umgebracht hatte oder nicht. Doch sobald sie von ihrem Sohn erfuhren ... nun, dann reagierten sie betroffen. Sie bekam es mit und konnte ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Trotzdem kam ihr die ganze Sache noch immer unwirklich vor.
Am Abend zuvor hatte sie, nachdem der ältere geldgierige Rechtsanwalt mit dem netten jüngeren weggegangen war, stundenlang auf dem obersten Stockbett ihrer Zelle geweint. Um 15 Uhr hatte man alle Insassen wieder in den Zellen einge sperrt und das durchgeführt, was Zählappell
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